Der österreichische Komponist und Dirigent Friedrich Cerha ist tot. Er starb drei Tage vor seinem 97. Geburtstag am Dienstag in Wien, wie seine Familie der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Cerha galt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten der Welt. Der Künstler schuf mehr als 200 Orchester-, Kammermusik- und Solowerke. Bekannt wurde er unter anderem als jener Komponist, der Alban Bergs Oper »Lulu« vollendete.
»Ich habe mich vom Außenseiter zum Unangepassten entwickelt«, sagte Cerha der österreichischen Nachrichtenagentur APA zu seinem 80. Geburtstag. Ursprünglich war er dem Neoklassizismus, der Zwölftonkomposition und dem Serialismus zugewandt. Mit dem Orchesterwerk »Spiegel« befreite er sich Anfang der 1960er von solchen Traditionen und schuf eine eigene Klangwelt.
»Ich habe Musik gebraucht, wie man atmen muss oder das Herz schlägt«, sagte Cerha 2014 in einem von der Stadt Wien aufgezeichneten Gespräch. Der Sohn eines Elektroingenieurs begann im Alter von sechs Jahren mit dem Geigenunterricht und schuf bereits in der Schulzeit erste Kompositionen. Noch bevor er das Abitur ablegen konnte, wurde er 1943 zur Wehrmacht eingezogen. Der überzeugte Antifaschist desertierte jedoch und lebte danach im Untergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er zunächst als Bergführer, bevor er in Wien unter anderem Komposition, Geige und Germanistik studierte.
Statt Anerkennung schlug Cerha zu Beginn seiner Komponisten-Laufbahn immer wieder auch Ablehnung entgegen, etwa für den »Spiegel«-Zyklus. »Nach den ersten Aufführungen wurde das als intellektuelles Experiment, als Kopfmusik bezeichnet«, sagte er 2013 in einem Gespräch mit seinem Musikverlag, der Universal Edition. In Wirklichkeit sei das Werk aus »einem elementaren Ausdrucksbedürfnis« entstanden und habe ihm geholfen, sich von seinen Kriegserlebnissen zu befreien, sagte er.
Cerha schuf aber nicht nur eigene Musik. Er gründete im Jahr 1958 zusammen mit seiner Frau Gertraud Cerha und dem Komponistenkollegen Kurt Schwertsik das Kammerensemble Die Reihe, das es sich zur Aufgabe machte, moderne Komponisten wie Alban Berg, Anton Webern und Arnold Schönberg bekannt zu machen. »Als 1926 Geborener hat er uns bewusst gemacht, wie sehr die Neue Musik den demokratischen Geist als Voraussetzung braucht, um sich entfalten zu können«, sagte Österreichs Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer am Dienstag.
Als Opernkomponist trat Cerha erst 1981 in Erscheinung, als sein Werk »Baal« bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde und ihm zu internationaler Bekanntheit verhalf. Danach folgten unter anderem die Opern »Der Rattenfänger« und »Der Riese vom Steinfeld«.
2012 erhielt Cerha den mit 200 000 Euro dotierten Ernst von Siemens Musikpreis, der als eine der wichtigsten Musik-Auszeichnungen gilt. Trotz dieser und vieler anderer Ehrungen blieb der Komponist mit dem markanten Oberlippenbart stets bescheiden. »Ich habe mich auf meinem Platz zwischen den Stühlen immer sehr wohl gefühlt«, sagte er in einem Interview mit dem Sender ORF.
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