Es ist eine provokante Zusammenstellung: Ein ukrainisches Künstlerpaar malt orthodoxe Ikonen aufs Holz kaputter Munitionskisten. Die christlichen Heiligen blicken herab von Kriegsmaterial, das einmal todbringende Fracht enthielt. Ukrainische Soldaten öffnen derzeit Tausende solcher Kisten, um sich mit den Geschossen gegen die russische Invasion zu verteidigen. Einige Soldaten bringen die alten Bretter zu den Kiewer Künstlern Sonja Atlantowa und Oleksander Klymenko, damit sie darauf malen.
»Für mich ist das eine Suche, ein Bewusstmachen und Durchdenken dessen, was passiert«, sagte Atlantowa (41) über ihre Ikonen. »Es ist der Versuch, die durchlebte ukrainische Erfahrung in etwas Positives zu verwandeln«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Kiew. Es sei auch die Möglichkeit, mit ihrer Kreativität etwas Gutes zu tun. Die ungewöhnlichen Ikonen sind schon in mehreren europäischen Ländern gezeigt worden. Verkaufserlöse spenden die Künstler für die Behandlung und Rehabilitation verwundeter ukrainischer Soldaten.
Das Paar male solche Ikonen schon seit 2014, als russische Kräfte den Donbass im Osten der Ukraine besetzten, sagte Klymenko (48) bei einer Präsentation in Kiew. »Der Krieg hat nicht erst jetzt begonnen.«
Das Holz hat seine eigene Geschichte
In ostslawischen Sprachen wie Ukrainisch werden Ikonen nicht gemalt, man sagt, sie werden »geschrieben«. Atlantowa sieht die Holzbretter auch als künstlerische Herausforderung: »Das ist kein weißes Blatt Papier, keine Leinwand. Sie haben ihre Individualität, ihre Geschichte.«
Die Kunst habe im Krieg in der Ukraine stark an Bedeutung gewonnen, sagte sie. »Es gibt so viele Gemälde, so viele Lieder.« Es seien die Künstlerinnen und Künstler, die der Trauer, dem tiefen Schmerz der Menschen Ausdruck verleihen könnten und damit Kraft geben.
Klymenko verlas in Kiew die Vornamen von Soldaten, die bei der Verteidigung der Hauptstadt im Frühjahr 2022 getötet worden waren. Seine Frau ritzte diese Namen in eine Ikone ein als Symbol, dass die Menschen nicht vergessen sind. Der Sänger Taras Kompanitschenko, derzeit Soldat, sang und spielte dazu auf seinem Instrument Bandura ukrainische geistliche Trauergesänge.
Auch in Deutschland hat das Paar seine Ikonen schon ausgestellt. Zuletzt war ein Zyklus in Berlin zu sehen. Nächste Stationen sind Muri (Schweiz) und Nürtingen bei Stuttgart. Die Kunstwerke könnten verstehen helfen, wie Ukrainer und Ukrainerinnen diesen Krieg erleben, sagte die Theologin Regina Elsner der dpa. »Sie zwingen einen, die Kriegsrealität wahrzunehmen.« Zugleich spendeten die christlichen Ikonen Trost, weil sie symbolisch »das Leben aus dem Tod herausholen«, sagte die Professorin für Ostkirchenkunde an der Universität Münster.
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