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Japanischer Filmkomponist Ryuichi Sakamoto gestorben

Millionen kennen seine Oscar-gekrönte Filmmusik. Er war ein Urvater des Techno, spielte aber auch Jazz, Pop und Avantgarde. Nun ist Ryuichi Sakamoto, dessen Musik vielen wohl bekannter ist als sein Name, tot.

Ryuichi Sakamoto
Der japanische Filmkomponist auf der Berlinale 2018. Foto: Britta Pedersen
Der japanische Filmkomponist auf der Berlinale 2018.
Foto: Britta Pedersen

Der große japanische Filmkomponist, Musiker, Schauspieler und Produzent Ryuichi Sakamoto (»Der letzte Kaiser«) ist tot. Sakamoto, der einst an der Seite von David Bowie in dem Kriegsfilm »Merry Christmas, Mr. Lawrence« (1983) mitspielte, starb nach langem Krebsleiden bereits am vergangenen Dienstag, wie sein Büro am Sonntag bekanntgab. Das Musikgenie wurde 71 Jahre alt.

Auch wenn im Westen seine Musik bekannter als sein Name sein mochte, so war er doch jahrzehntelang nicht nur enorm respektiert, sondern hat auch viele Künstler höchst inspiriert. Angefangen mit seiner Arbeit in den 70er und 80er Jahren als Bandleader des Yellow Magic Orchestra, das einst mit der deutschen Band Kraftwerk zu den »Kings of Techno« gezählt wurde, bis hin zu seinen zutiefst emotionalen, Grammy- und Oscar-prämierten Filmmusiken sowie seinen zahlreichen elektronischen Solo-Experimenten.

Oscar für den Soundtrack zum »Letzten Kaiser«

»Ich bin ein Jäger«, sagte Ryuichi Sakamoto einmal der Deutschen Presse-Agentur in New York, wo er viele Jahre lebte. »Ich jage der Musik nach, überall auf der Erde.« Ob Pop, Rock, Ambient, Techno oder Jazz, ob afrikanische Trommelrhythmen, asiatische Volkslieder oder Melodien deutscher Klassiker - der geniale Musiker zeigte in seinen Werken, mit denen er über Jahrzehnte hinweg Musikgeschichte schrieb, immer wieder neue künstlerische Facetten auf. Im Laufe seiner langen Karriere arbeitete Sakamoto dabei mit vielen bedeutenden Künstlern zusammen, darunter Brian Eno, Iggy Pop oder David Sylvian sowie David Byrne. Mit letzterem nahm er den Soundtrack zu Bernardo Bertoluccis »Der letzte Kaiser« auf, für den beide 1988 den Oscar erhielten.

»Ich erinnere mich lebhaft an das emotionale Erlebnis, das ich hatte, als ich Ryuichi Sakamoto zum ersten Mal hörte«, erzählte in einem Interview Alejandro González Iñárritu, gefeierter Regisseur von Filmen wie »The Revenant – Der Rückkehrer« mit Leonardo DiCaprio, für welchen Sakamoto die Filmmusik komponierte. »Ich wollte jemanden haben, der Stille verstehen kann. Und das ist Ryuichi«, zitierte das amerikanische Radionetzwerk npr den Regisseur. »Ich saß mit einem Freund in einem Auto in Mexiko-Stadt im Stau und wir legten eine japanische Raubkopienkassette ein – das war 1983. Ich hörte einige Klaviernoten und hatte das Gefühl, als ob die Finger in mein Gehirn eindrangen und mir eine kosmische Kopfmassage gaben... und es hieß «Merry Christmas, Mr. Lawrence»«, erinnerte sich Iñárritu laut npr.

Zu Weltruhm gelangte Sakamoto, als er sich Ende der 70er dem Yellow Magic Orchestra anschloss. Der Japaner wurde zu einem der damals härtesten Techno-Musiker der Welt. »Stürmische Jahre« seien es gewesen, erinnerte sich Sakamoto später. »Doch Pop und Rock allein sind auf die Dauer nur etwas für Leute, die musikalisch wenig Bildung haben und nichts Neues lernen wollen«, erzählte er als 50-Jähriger.

Er war wissbegierig und experimentierfreudig

Doch dazu gehörte Sakamoto, der am 17. Januar 1952 in der Nähe von Tokio als Sohn eines Verlagsleiters und einer Hutdesignerin geboren wurde, wahrlich nicht. Das Klavierspielen hatte er schon als kleiner Junge gelernt. In der japanischen Hauptstadt studierte er Komposition. Sein erstes Album »Thousand Knives«, eine Mischung aus Electropop, Jazz und experimenteller Musik, erschien, als er 26 war.

Ausgiebig experimentierte Sakamoto, der schon in der Schulzeit in Jazzbands spielte, mit elektronischen Klangerzeugern und erforschte die musikalischen Traditionen und Eigenheiten in Ländern der Dritten Welt. An seiner ungezügelten Wissbegierde und Experimentierfreude lag es, dass so gut wie jede seiner Platten anders klingt als die früheren. Zudem schrieb der Japaner für zahlreiche Filme die Musik, darunter auch Volker Schlöndorffs »Die Geschichte der Dienerin«.

Zu seinen Überzeugungen gehörte es, dass Völker über den Austausch ihrer Musik zu einem besserem Verständnis finden können. Mit seinem Interesse an Umwelt- und Friedensfragen engagierte er sich zugleich in der Anti-Atomkraft-Bewegung. So rief er nach der Atomkatastrophe in Fukushima 2011 in Folge eines Erdbebens und Tsunamis sein Land zum Atomausstieg auf. Vergeblich.

»Wie oft werde ich den Vollmond noch sehen?«

2014 wurde bei Sakamoto Rachenkrebs diagnostiziert. Nachdem der Krebs zwischenzeitlich zunächst besiegt schien, stellten seine Ärzte 2021 bei ihm Enddarmkrebs fest. Sakamoto musste sich Operationen unterziehen, um den Krebs zu entfernen, der sich auf beide Lungenflügel ausgebreitet hatte, wie er im japanischen Literaturmagazin »Shincho« bekannt machte.

Dem Artikel folgte eine Essay-Reihe unter dem Titel »Wie oft werde ich den Vollmond noch sehen?« über seine musikalische Karriere und seine Ansichten zum Leben. Zum Auftakt sagte er: »Da ich es im Leben so weit gebracht habe, hoffe ich, dass ich bis zu meinem letzten Moment Musik machen kann, wie Bach und Debussy, die ich verehre.« Zu seinem 71. Geburtstag erschien sein experimentelles Solo-Album »12«, das im März 2021 entstand, während sich Sakamoto einer Krebsbehandlung unterzog.

© dpa-infocom, dpa:230402-99-183769/6