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Jüdisch-mittelalterliches Erbe wird neues Unesco-Welterbe

Deutschland hat eine Welterbe-Stätte mehr: Erfurt erhält die begehrte Auszeichnung der Unesco dank der Spuren des jüdischen Lebens im Mittelalter.

Unesco Welterbe
Moderne Architektur steht über dem 2007 entdeckten mittelalterlichen Ritualbad (Mikwe) an der Krämerbrücke. Foto: Martin Schutt/DPA
Moderne Architektur steht über dem 2007 entdeckten mittelalterlichen Ritualbad (Mikwe) an der Krämerbrücke.
Foto: Martin Schutt/DPA

Die Unesco hat das jüdisch-mittelalterliche Erbe in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt als neues Welterbe ausgezeichnet. Das entschied die UN-Kulturorganisation auf ihrer laufenden Sitzung im saudi-arabischen Riad.

Ausgezeichnet wurden unter anderem mehrere Bauten der Altstadt, darunter ein vor rund 16 Jahren durch Zufall entdecktes mittelalterliches Ritualbad (Mikwe), das vermutlich um 1250 errichtete sogenannte Steinhaus sowie Erfurts Alte Synagoge. In Deutschland gibt es damit nun 52 Welterbe-Stätten.

»Die Aufnahme des Jüdisch-Mittelalterlichen Erbes in Erfurt als neue und zweite jüdische Stätte in die Liste des Unesco-Welterbes leistet einen weiteren, wichtigen Beitrag, die gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen in Deutschland und Europa sichtbar zu machen und für die Zukunft zu bewahren«, sagte Deutschlands Botschafterin bei der Unesco, Kerstin Püschel. Die neue Welterbestätte fördere das Verständnis für die kulturelle Vielfalt in Deutschland und den gegenseitigen Respekt für das vielschichtige historische Erbe.

Vor zwei Jahren hatte die Unesco erstmals jüdisches Kulturgut in Deutschland ausgezeichnet. Die sogenannten Schum-Stätten in Mainz, Worms und Speyer erhielten damals als eine Wiege des europäischen Judentums den Welterbe-Titel.

Synagoge erfüllte schon viele Aufgaben

Erfurts Alte Synagoge gilt als eine der ältesten, bis zum Dach erhaltenen Synagogen in Mitteleuropa. Nach einem Pogrom in der Stadt im Jahr 1349, bei dem quasi die gesamte jüdische Gemeinde ausgelöscht wurde, wurde die Synagoge zunächst zu einem Lagerhaus umfunktioniert und später als Gaststätte sowie Tanzsaal genutzt. Die Stadt vermutet, dass das Gebäude aus diesem Grund später vor der Zerstörung durch die Nazis bewahrt wurde.

Heute befindet sich in der Alten Synagoge, deren älteste Bauspuren um 1094 datiert werden, ein Museum. Ausgestellt werden Zeugnisse des jüdischen Lebens im mittelalterlichen Erfurt. Dazu gehören mehrere Tausend Silbermünzen und -barren sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Als bedeutendstes Stück gilt ein goldener Hochzeitsring.

Forscher vermuten, dass dieser sogenannte Erfurter Schatz während des Pogroms 1349 vergraben wurde. Entdeckt wurde er bei archäologischen Untersuchungen 1998 nahe der Alten Synagoge. Bei dem Pogrom wurde das jüdische Viertel um die Synagoge herum in Brand gesetzt, fast alle der rund 1000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde starben. Forscher gehen, wenn überhaupt, nur von wenigen Überlebenden aus.

Rund 15 Jahre lang arbeitete Erfurt an der Bewerbung um eine Anerkennung als Weltkulturerbe. Die Stadt übertrug die Auszeichnung am Sonntag bei einem Public Viewing.

Die 45. Sitzung des Welterbekomitees der Unesco sollte eigentlich im Juni 2022 in Russland stattfinden. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde sie jedoch verschoben und wird nun in Riad nachgeholt.

Freudige Reaktionen in Erfurt

Die Aufnahme des jüdisch-mittelalterlichen Erbes von Erfurt auf die Unesco-Welterbeliste ist in Thüringen mit großem Jubel aufgenommen worden. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) lobte die drei ausgezeichneten Bauwerke in der Altstadt als bauliche Kleinode, die auf einmalige Weise vom friedlichen Miteinander jüdischer rund christlicher Gemeinschaften im Mittelalter zeugten.

Der Welterbe-Titel stärke das gemeinsame Bemühen von Stadt und Land, diese historischen Stätten zu erhalten und ihre wechselvolle Geschichte öffentlich zu vermitteln. »Möge von Thüringen mit dieser Entscheidung die Botschaft eines Lebens in Vielfalt und friedlichem Miteinander ausgehen«, erklärte Ramelow nach der Entscheidung für den Erfurter Welterbe-Status.

Der Oberbürgermeister von Thüringens Landeshauptstadt, Andreas Bausewein (SPD), sah darin die Krönung einer jahrelangen, akribischen Vorbereitung. »Jetzt, da Erfurt mit dem Welterbetitel geadelt wurde, müssen und werden wir diesen Schatz hüten und wahren wie unseren Augapfel.«

Bausewein hatte die Sitzung des zuständigen Unesco-Komitees in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad am Sonntag gemeinsam mit rund 200 Gästen im Festsaal des Rathauses live auf zwei Monitoren verfolgt. Nach der Verkündung brach großer Jubel aus, einige hatten vor Freude Tränen in den Augen.

Freude
Oberbürgermeister Andreas Bausewein (2.v.l., SPD) und Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde, nach Bekanntgabe der Entscheidung. Foto: Michael Reichel/DPA
Oberbürgermeister Andreas Bausewein (2.v.l., SPD) und Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde, nach Bekanntgabe der Entscheidung.
Foto: Michael Reichel/DPA

Erfurt sieht mit dem Welterbe-Status die Verpflichtung, die Alte Synagoge, das mittelalterliche Ritualbad sowie das sogenannte Steinerne Haus, ein historisches Wohngebäude, zu pflegen und weiter zu erforschen. So wird in der Stadt beispielsweise an der Idee für ein Welterbezentrum hinter dem Rathaus gearbeitet.

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, sieht in dem Welterbetitel einen Anziehungspunkt für Touristen. Auch die jüdischen Gemeindemitglieder würden sich nun noch mehr zu Hause fühlen. Schramm hofft im Zuge des Welterbetitels zudem auf ein koscheres Restaurant in Erfurt.

© dpa-infocom, dpa:230917-99-223546/9