Vor 70 Jahren, am 30. August 1953, war die Fernsehpremiere des »Internationalen Frühschoppens«. Für die Spätgeborenen: Das hatte nichts mit Shoppen zu tun, sondern bezog sich auf den damaligen Brauch, zwischen Kirchgang und Sonntagsbraten noch mal schnell einen trinken zu gehen, was Frühschoppen genannt wurde.
Geleitet wurde die gleichermaßen alkoholisierte wie verräucherte Runde von einem Herrn mit Vorderglatze und dickglasiger Hornbrille: Werner Höfer (1913-1997). Er moderierte die Sendung 35 Jahre lang - die ersten eineinhalb davon ausschließlich im Radio, dann auch im Fernsehen. »Ich bin in der Versuchszeit des Fernsehens als Versuchskarnickel vorgeführt worden«, sagte er 1985. Im Rückblick gilt der »Internationale Frühschoppen« als Mutter aller Polit-Talks.
Minimalistische Studiokulisse
Nachdem der »Frühschoppen« 1953 ins Fernsehen gekommen war, lief er ein halbes Menschenleben lang nach dem gleichen Muster ab. Zu Beginn um Punkt Zwölf ertönte die sonore Stimme von Egon Hoegen - auch bekannt aus der Verkehrserziehungsserie »Der 7. Sinn« - und kündigte »sechs Journalisten aus fünf Ländern« an. Dann sah man diese Gäste auch schon in der minimalistischen Studiokulisse hinter Moselweingläsern sitzen, und Werner Höfer leitete die Sendung beispielsweise mit folgendem Satz ein: »Die Wiedersehensfreude ist unter allen Weihnachtsfreuden der reinsten und der rarsten eine.«
Die Wiederholung des Immergleichen kam dem Bedürfnis der traumatisierten Kriegsgeneration nach Konstanten entgegen. Als Höfer es sich 1954 einmal herausnahm, ein paar Wochen Urlaub zu machen, gingen beim WDR wäschekorbweise Protestbriefe ein. Danach ließ Höfer die Sendung nie mehr ausfallen. Er machte nur noch Urlaub auf Sylt und fuhr jedes Wochenende nach Köln und wieder zurück. Als er Sylt 1962 wegen einer Flutkatastrophe nicht verlassen konnte, leitete er den »Frühschoppen« telefonisch. Optisch veränderte sich Höfer in all den Jahren so gut wie nicht.
Ein Schleier von Zigarettenqualm
So loriothaft die heute noch auf Youtube verfügbaren Ausschnitte auch wirken mögen, einige Elemente heutiger Talkshows sind schon deutlich erkennbar: Es gab einen Moderator, es gab Gäste, und es gab ein Thema, möglichst aktuell. Sobald sich innerhalb der honorigen Runde aber eine auch nur halbwegs angeregte Diskussion zu entwickeln drohte, ging Höfer dazwischen und zwang alles in den Ritus des Reihum-Abfragens zurück. Es musste friedlich bleiben, schließlich war Sonntag. Dagegen wurde es ohne weiteres geduldet, wenn einer der Gäste eine minutenlange Polemik vom Blatt ablas - so geschehen in einer Sendung zu Beethoven.
Normalerweise besprachen Höfer und seine Gäste Themen aus der hohen Politik, und zwar keineswegs nur aus der deutschen. Es war nicht ungewöhnlich, wenn sich die Herren eine geschlagene Stunde lang über französische Innenpolitik austauschten. Und dabei wurde einfach mal vorausgesetzt, dass der Zuschauer mit den grundlegenden Fakten vertraut war. Von wegen Einspielfilmchen und Erklärstücke: Am Ende verlor man sowieso den Durchblick, denn dann verschwand die Runde zunehmend hinter einem Schleier von Zigarettenqualm.
Nazi-Vorwürfe gegen Werner Höfer
Frauen traten in der Sendung lange vorzugsweise als Kellnerinnen auf, die den Herren eifrig nachschenkten. Als Höfer 1985 einmal von dem jungen Thomas Gottschalk interviewt wurde, berichtete der 71-Jährige: »Da kommen immer Briefe von Feministinnen: «Warum, immer Frauen für diese dienenden Funktionen? Warum nicht Männer?»« Das war als launige Bemerkung gedacht und kam auch genauso an: Das Publikum lachte und klatschte.
Das Ende kam plötzlich. Im Dezember 1987 grub der »Spiegel« einen Hetzartikel Höfers aus der Nazizeit aus. Höfer wand sich, wiegelte ab und erging sich in Ausflüchten. Dann musste er abtreten. Nachfolgesendung war der bis heute laufende »Presseclub«. Auf Phoenix gibt es den »Internationalen Frühschoppen« bis heute: Er läuft dort immer dann, wenn der »Presseclub« ausfällt.
Höfer lebte nach seinem Abgang noch zehn Jahre, aber er war zum Gemiedenen geworden. Einer der wenigen, die für ihn Partei ergriffen, war der Publizist Sebastian Haffner ("Anmerkungen zu Hitler"), der in den 30er Jahren vor den Nazis nach England geflohen war. Er sagte: "Wenn alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder sich nach dem Kriege so engagiert für die Demokratie eingesetzt hätten wie Werner Höfer, dann brauchten wir uns um den Bestand der Demokratie keine Sorgen zu machen.
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