Die amerikanisch-polnische Journalistin und Historikerin Anne Applebaum ist zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. »In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden«, heißt es in der Urkunde, die sie in der Paulskirche entgegennahm.
Eine Preisträgerin, an deren Meinung man sich reiben darf
Applebaums Dankesrede war ein entschiedenes Plädoyer, die Ukraine auch weiterhin mit Waffen zu unterstützen. Ihre klare Haltung in diesem Punkt habe im Vorfeld Kritik hervorgerufen, gestand Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der den Preis vergibt.
Wie könne man jemandem, der Waffenlieferungen fordert, mit einem Preis für den Frieden auszeichnen? »Das ist die Kultur des Friedenspreises«, sagte Schmidt-Friderichs: »Wir dürfen uns an den Meinungen der Preisträgerinnen reiben. Wir sollten an ihnen wachsen.« In der voll besetzten Paulskirche gab es für ihre Position viel Applaus.
Die 1964 in Washington DC geborene Historikerin Applebaum ist mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet. Sie schrieb Bücher wie »Der Gulag« (2003), »Der Eiserne Vorhang« (2012) und »Die Verlockung des Autoritären« (2021). 2004 wurde sie mit dem renommierten Pulitzer-Preis geehrt. Applebaum ist die 75. Friedenspreisträgerin. Die Ehrung ist mit einem Preisgeld von 25.000 Euro verbunden.
Kritik an blindem Pazifismus
»Die Verleihung des Friedenspreises ist vielleicht ein guter Moment, um darauf hinzuweisen, dass der Ruf nach Frieden nicht immer ein moralisches Argument ist«, argumentiert Applebaum. »Es ist auch ein guter Moment, um zu betonen, dass die Lektion der deutschen Geschichte nicht sein kann, dass die Deutschen Pazifisten sein müssen. Im Gegenteil: Seit fast einem Jahrhundert wissen wir, dass der Ruf nach Pazifismus angesichts einer aggressiven Diktatur oft nichts anderes ist als Appeasement und Hinnahme dieser Diktatur.«
»Wer «Pazifismus» fordert und nicht nur Gebiete an Russland abtreten will, sondern auch Menschen, Prinzipien und Ideale, der hat rein gar nichts aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt«, sagte Applebaum. Der Satz »Nie wieder!« mache blind für die Wirklichkeit.
»Die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte«
»Um zu verhindern, dass Russland sein autokratisches politisches System verbreitet, müssen wir der Ukraine zum Sieg verhelfen«, sagte Applebaum. »Wenn wir die Möglichkeit haben, mit einem militärischen Sieg diesen schrecklichen Gewaltkult in Russland zu beenden, so wie ein militärischer Sieg den Gewaltkult in Deutschland beendet hat, dann sollten wir sie nutzen.«
Für Deutsche sei es ungewohnt, wenn sie gebeten werden, Waffen zu liefern. »Doch das ist die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte«, sagte Applebaum: »Nicht, dass Deutsche nie wieder Krieg führen dürfen, sondern dass sie eine besondere Verantwortung dafür haben, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei auch Risiken einzugehen.«
Katastrophen vorgesehen und vorhergesagt
Die Laudatio auf die Friedenspreisträgerin hielt eine Friedensnobelpreisträgerin: die russische Oppositionelle Irina Scherbakowa. Die russische Historikerin ist Gründungsmitglied der in Russland inzwischen verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Applebaums Arbeiten seien »ein Frühindikator« gewesen, fast alle ihre Bücher seien »vorausschauend« gewesen. Applebaum habe »die drohenden Katastrophen diagnostiziert und vorhersagt und seit Jahren vor den Gefahren gewarnt, die von Putins Regime ausgehen«, sagte Scherbakowa. »Wenn solche Stimmen im Westen mehr Gehör gefunden hätten, wäre es möglich gewesen, Putin viel früher zu stoppen.«
Nur eine feine Linie trenne die Lüge von der Wahrheit, sagte Scherbakowa. Autokraten und Propagandisten arbeiteten permanent daran, diese Linie zu verwischen. Applebaums Arbeit trage dazu bei, dass sie bestehen bleibe. »Wie nur wenige hat sie uns gewarnt, dass das, was als eine narrative Linie beginnt, in eine echte Frontlinie münden kann.«
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