Viele Kinozuschauer kennen Javier Bardem vor allem als Fiesling. Sei es in »No Country for Old Men«, wofür der Spanier einen Oscar gewann, in James Bonds »Skyfall« oder »Fluch der Karibik«.
Längst hat der 53-Jährige aber gezeigt, dass er auch ganz andere Rollen spielen kann. Und das, obwohl er einst vor allem auf seinen Körper reduziert wurde - so schilderte er es zumindest kürzlich selbst.
»Sie haben mich gebeten, mein T-Shirt auszuziehen, und mir dann die Rolle gegeben«, beschrieb er im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes sein erstes Casting. »Ich startete als Stück Fleisch, und wurde nach und nach zu einem Schauspieler.«
Lange her. Inzwischen ist Bardem als Charakterdarsteller ebenso gefragt wie als Hollywoodstar und beim Filmpublikum für seine lässigen Auftritte beliebt. Mit »Der perfekte Chef« hat Bardem nun wieder einen Film in seinem Heimatland gedreht - und ergänzt sein Portfolio um eine ganz neue Figur.
In der Gesellschaftssatire spielt er den erfolgreichen Boss eines Familienunternehmens namens Julio Blanco. Erst wirkt dieser sympathisch, nahbar, immer daran interessiert, die Probleme seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu lösen (»Wir sind eine große Familie«). Ganz langsam und unterschwellig fallen aber immer mehr unangenehme Seiten an ihm auf.
Blanco ist als Chef einer Firma für Industriewaagen sehr beschäftigt. Es läuft ziemlich gut, und Blancos Firma ist unter den drei Finalisten für den Preis »Business Excellence« der Bezirksregierung. Doch kurz bevor das Preisverleihungs-Komitee zur Entscheidungsfindung in die Firma kommen soll (wann genau, weiß niemand), bricht im Unternehmen an diversen Ecken und Enden Chaos aus.
Der Mitarbeiter José will nicht akzeptieren, dass ihm gekündigt wurde. In direkter Nachbarschaft zum Firmeneingang schlägt er deswegen mit seinen zwei kleinen Kindern ein Protestcamp auf, samt beleidigenden Bannern und Megafon. Irgendwann wird die Presse auf ihn aufmerksam.
Der Produktionsleiter Miralles hat währenddessen Beziehungskummer und bringt den Betrieb deswegen mit falschen Bestellungen und anderen logistischen Fehlplanungen durcheinander. Blanco will ihm helfen, seine Eheprobleme zu lösen, um das Chaos zu beenden - spioniert also gemeinsam mit Miralles dessen Frau aus und bringt ihn zur Ablenkung in einen Stripclub.
Er findet heraus, dass eine innerbetriebliche Affäre zwischen Miralles und der Chefsekretärin der Auslöser für die Krise war. Als Reaktion hat Miralles' Frau inzwischen etwas mit einem anderen Mitarbeiter am Laufen. Das will Blanco unbedingt unterbinden.
Stichwort außereheliche Affären: Irgendwann fängt Blanco selbst eine an. Mit Liliana, der neuen Praktikantin aus dem Marketing. Was er erst nachträglich erfährt: Sie ist nicht nur manisch in ihn verliebt. Sondern auch die Tochter von Bekannten.
Die Sache gerät außer Kontrolle. Auch die mit dem ehemaligen Mitarbeiter José, der sein Lager trotz zahlreicher Versuche Blancos nicht verlässt und irgendwann die am Eingang der Firma repräsentativ aufgestellte historische Waage als Klo benutzt, weil er nicht auf das in der Firma gelassen wird. Über all dem schwebt der drohende Besuch des Komitees. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt.
In Spanien hat »Der Perfekte Chef« viele Preise gewonnen und war auch die Einreichung für den »Best International Feature Film« bei den Oscars 2022. Verständlich: Der Film von Regisseur Fernando León De Aranoa besticht mit schwarzem Humor und zynischer Sozialkritik.
Und mit einem Bardem in Topform. Mit Föhnfrisur, ordentlichem Hemdkragen, ungerührt hochgezogenen Augenbrauen und einer immer perfekten Rasur haucht er diesem unangenehmen Chef Leben ein. Dass dieser Mann kein sympathischer Charakter ist, präsentiert uns Bardem nie allzu offensichtlich, sondern mit viel subtilem Witz. Wer einmal wissen möchte, worin das Talent dieses Schauspielers besteht, muss sich einfach nur die Schlussszene dieses Films ansehen. Bardem schafft, dass einem das Lachen in der Kehle stecken bleibt.
Der perfekte Chef, Spanien 2021, 120 Minuten, FSK ab 12, von Fernando León De Aranoa, mit Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor
© dpa-infocom, dpa:220721-99-103328/4