Kulturstaatsministerin Claudia Roth will die Kulturbranche mehrere Jahre nach Aufkommen der #MeToo-Bewegung stärker in die Pflicht nehmen. »Die Kultur- und Medienbranche ist aufgrund ihrer Struktur offenkundig anfällig für Machtmissbrauch, für sexualisierte Übergriffe und auch für den Verstoß gegen Arbeitsschutzregeln«, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag in Berlin, wo sie einen Aktionsplan vorstellte.
»Und ich sage ganz deutlich: Auch künstlerische Genies - oder angeblich künstlerische Genies - stehen nicht über Recht und Gesetz«, sagte Roth. »Die Zeiten patriarchalischer Macker, die ihre Machtposition in übelster Form ausnutzen, sollten wirklich vorbei sein. Auch wenn das offenkundig noch nicht alle verstanden haben.«
Die Kulturbranche soll sich unter Federführung des Kulturrats nun einen Verhaltenskodex (»Code of Conduct«) geben. In einem ersten Schritt gehe es um eine verbindliche Selbstverpflichtung der Branche, sagte Roth. »Sollte das nicht ausreichen und eine entsprechende durchgreifende Wirkung zeigen, werden wir den nächsten Schritt gehen und das für alle unsere Förderungen verbindlich machen.«
Gründe für das Schweigen
Nach Einschätzung der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes, Ferda Ataman, tragen unsichere Arbeitsverhältnisse dazu bei, dass Belästigung mitunter nicht öffentlich wird. Etwa, weil man abhängig sei vom Wohlwollen eines Produzenten oder eines Regisseurs. Sie berichtete von einer Balletttänzerin mit befristetem Arbeitsvertrag, die Angst habe, keinen Anschlussvertrag zu bekommen.
Sexuelle Belästigung könne jedes sexualisierte Verhalten am Arbeitsplatz sein, das von der betroffenen Person nicht erwünscht sei, sagte Ataman, etwa anzügliche Blicke, sexistische Witze, E-Mails mit pornografischen Inhalten, aber auch unangemessene Berührungen. In einer Befragung in der Kultur- und Medienbranche hätten 46 Prozent angegeben, in den letzten drei Jahren von sexueller Belästigung betroffen gewesen zu sein, im Querschnitt aller Branchen seien es 9 Prozent gewesen.
Mit #MeToo habe man eine breite Debatte auch in Deutschland gehabt. »Aber bei den Konsequenzen kommen wir kaum voran«, sagte Ataman. Sie müsse es ein bisschen rabiater sagen: »Beim Thema Antidiskriminierung ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, ich würde jetzt eben sagen, eher noch im Mittelalter. Und wenn es so ist, dann wäre der Kulturbereich sogar eher teilweise in der Steinzeit.«
#MeToo und die Enthüllungen zu Weinstein
Unter dem Schlagwort #MeToo wird seit einigen Jahren über sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch diskutiert. Die Debatte hatte sich nach Berichten über sexuelle Übergriffe des US-Filmproduzenten Harvey Weinstein auch auf andere Branchen ausgeweitet.
In Deutschland wurde 2018 die Vertrauensstelle Themis gegründet, die Menschen aus der Theater-, Film- und Musikbranche berät. Es seien rund 850 Erstberatungen und insgesamt etwa 2000 Gespräche geführt worden, sagte Vorstand Eva Hubert. In der Hälfte der Fälle handele es sich um verbale, non-verbale oder digitale Belästigung (48 Prozent), bei 37 Prozent um körperliche Belästigung und bei 5 Prozent um schwere körperliche Gewalt. 10 Prozent machten keine Angabe. Nach Angaben Huberts gab es im letzten und vorletzten Jahr allein jeweils Berichte über zehn Vergewaltigungen.
Oft wenden sich Frauen an die Beratungsstelle (etwa 90 Prozent), es seien aber auch Männer, sagte Hubert. Verursacher seien meist höhergestellte oder vorgesetzte Personen, in der Regel Männer, aber es könnten auch Frauen sein. Viele Fälle stammen aus der Bühnenwelt (46 Prozent) und der Film- und Fernsehbranche (41 Prozent).
Zweifel an Selbstverpflichtung
Die Kulturbranche soll innerhalb eines Jahres nun den Verhaltenskodex gegen sexualisierte Grenzüberschreitungen entwickeln. Zudem sollen Präventionsangebote ausgebaut werden. Auf die Frage, wie hilfreich eine Selbstverpflichtung wirklich sei, antwortete der Geschäftsführer des Kulturrats, Olaf Zimmermann, sie müssten versuchen, eine Veränderung in ihren eigenen Bereichen hinzubekommen. »Ich bestreite nicht, dass das schwer ist.«
Für Roth wäre es denkbar, die Vergabe von Fördergeldern notfalls auch an weitere Kriterien zu koppeln. Zimmermann äußerte Bedenken, etwa bei der Umsetzung. Ataman forderte dagegen verbindliche Regeln und Sanktionen. »Zum Beispiel: Kein öffentliches Geld mehr an Leute, die sich nicht an Regeln halten«, teilte sie mit. Zudem müsse etwa der Diskriminierungsschutz in der Branche verbessert werden.
Die Produktion neuer Filme etwa wird jährlich mit Millionenförderung angekurbelt. Kulturstaatsministerin Roth sagte zu den Arbeitsbedingungen in der Filmbranche, eine Filmförderung des Bundes sei selbstverständlich auch damit verbunden, dass die geltenden Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregeln eingehalten werden müssten.
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