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Bad Hersfeld: »König Lear« wird weiblich

Erstmals bei den Bad Hersfelder Festspielen verkörpert mit Charlotte Schwab eine Frau die Hauptrolle in der Auftaktpremiere »König Lear«. Die Schauspielerin will damit auch Anstoß zu mehr Geschlechtergerechtigkeit geben.

Bad Hersfelder Festpiele
Schauspielerin Charlotte Schwab (l) mit Intendant Joern Hinkel in der Stiftsruine in Bad Hersfeld. Foto: Uwe Zucchi
Schauspielerin Charlotte Schwab (l) mit Intendant Joern Hinkel in der Stiftsruine in Bad Hersfeld.
Foto: Uwe Zucchi

Bei der Sichtbarkeit von Frauen jenseits der 50 in Gesellschaft, Kunst und Kultur besteht aus Sicht des Intendanten der Bad Hersfelder Festspiele, Joern Hinkel, deutlicher Verbesserungsbedarf. »Sie fühlen sich oft überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Bei Männern ist das nicht so«, sagte Hinkel am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Im Gegenteil würden Männer mit zunehmenden Alter als reifer und interessanter wahrgenommen, so der Intendant.

Mehr Sichtbarkeit von Frauen über 50 wünscht sich auch die renommierte Schweizer Theater- und Filmschauspielerin Charlotte Schwab. Die 70-Jährige übernimmt bei den Festspielen in diesem Sommer (30. Juni bis 27. August) die Hauptrolle des König Lear im gleichnamigen Eröffnungsstück. Die Schauspielerin, die derzeit am Burgtheater in Wien engagiert ist und dem deutschen Fernsehpublikum durch zahlreiche Fernsehauftritte etwa in Krimiserien wie »Das Duo« und »Alarm für Cobra 11« bekannt ist, wirkt erstmals bei dem Theaterfestival mit.

Mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität

Mit ihr verkörpert in der Stiftsruine zum ersten Mal eine Frau den Patriarchen in dem Shakespeare-Klassiker, der von der Regisseurin Tina Lanik inszeniert wird. Das Stück wurde bereits vier Mal in Bad Hersfeld aufgeführt - in den Jahren 1967, 1981, 1995 und 2012. Zuletzt stand der 2021 verstorbene Schauspieler Volker Lechtenbrink als König Lear auf der Bühne.

Ab 60 gebe es im Theater kaum mehr Rollen für Frauen, beklagte Schwab. »Das ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.« Sie wünsche sich eine stärkere Wahrnehmung als Mensch und nicht als Mann oder Frau. Schwab hofft, mit der Verkörperung des König Lear einen Anstoß zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität geben zu können. »Das ist vielleicht ein kleiner Beitrag zu der Wahrnehmung, dass Frauen das auch können. Darum freue ich mich sehr, dass ich Lear spiele«, so Schwab.

Die Rolle, das Stück und die Kulisse der Stiftsruine seien überwältigend. »Das ist ein Raum, den man erstmal füllen muss«, beschrieb Schwab die Herausforderung. Die Rolle des König Lear decke die ganze Bandbreite von Gefühlen, Verhaltensweisen und männlichen Dominanzstrukturen ab. Es gehe um Liebe, Macht, Alter, Loslassen, Irrsinn, um alles, was das menschliche Wesen ausmache.

Natürlich sei die Rolle auch mit einem Mann gut besetzt. »Ich finde es aber genauso richtig und noch etwas bereichernder, wenn sie von einer Frau gespielt wird«, erläuterte die Schauspielerin. Mit dem Abstand, den sie als Frau zur Rolle des König Lear habe, wolle sie den Zuschauern einen anderen Blick auf den Patriarchen ermöglichen.

König Lear könnte auch eine Netflix-Serie sein

Für Hinkel stehen die Motive des Generationenkonflikts und der Zeitenwende im Fokus des Stückes, in dem König Lear die Machtübergabe misslingt. Der stolze Regent geht am Konflikt mit seinen Töchtern schließlich zugrunde. »Es geht um elementare Dinge, die heute ebenso aktuell sind wie zu Shakespeares Zeiten.« Der Intendant appellierte an das junge Publikum, keine Angst vor Klassikern zu haben. »Es ist eine elementare, aufwühlende und emotionale Geschichte, die ebenso gut eine Netflix-Serie sein könnte.«

Mit dem bisherigen Publikumszuspruch zeigte sich Hinkel zufrieden. »Der Vorverkauf ist gut angelaufen. Er ist zwar noch nicht auf dem Niveau wie vor der Corona-Pandemie, aber besser als im vergangenen Jahr.« Gerade in Krisenzeiten könnten Kunst und Kultur den Menschen Trost spenden und Hoffnung geben, sagten Schwab und Hinkel vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Unsicherheiten und Sorgen der Menschen.

© dpa-infocom, dpa:230320-99-24224/3