Die von einem Antisemitismus-Eklat erschütterte documenta fifteen in Kassel geht in ihre zweite Woche. Die seit vergangenem Samstag laufende Weltkunstausstellung ist geprägt von Rücktrittsforderungen und Vorwürfen.
Am Dienstag war das Banner »People's Justice« des Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Bildsprache abgehängt worden. Der Druck auf die Verantwortlichen ist auch weiterhin groß.
Entschuldigung von Künstlern
Das indonesische Kollektiv Taring Padi entschuldigte sich derweil in einem Statement auf der Website der documenta. »Wir bedauern zutiefst, in welchem Ausmaß die Bildsprache unserer Arbeit People’s Justice so viele Menschen beleidigt hat. Wir entschuldigen uns bei allen Zuschauer*innen und Mitarbeiter*innen der documenta fifteen, der Öffentlichkeit in Deutschland und insbesondere der jüdischen Gemeinde.« Man habe aus dem Fehler gelernt und erkenne jetzt, dass die Bildsprache im historischen Kontext Deutschlands eine spezifische Bedeutung bekommen habe.
Nun sollen auch die übrigen documenta-Ausstellungsstücke mit Blick auf den Antisemitismus-Eklat in Augenschein genommen werden. »Wir haben als Gesellschafter der Leitung der documenta gGmbH den Auftrag erteilt, alle gezeigten Werke im Sinne eines verantwortungsvollen Kuratierens zu überprüfen«, erklärte Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Wiesbaden. »Diese Prüfung läuft, und wir erwarten, zeitnah über Ergebnisse informiert zu werden.«
Es sei die Aufgabe und die Verantwortung der Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, aufzuarbeiten, wie es dazu kommen konnte, dass antisemitische Bildsprache auf der Ausstellung zu sehen war, betonte die Kunstministerin.
Kritischer Blick auf öffentliche Kulturförderung
Die Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens erklärte: »Die Feststellung der Verantwortlichkeiten im Umgang mit antisemitischer Bildsprache und anderen judenfeindlichen Inhalten ist dringend notwendig.« Es sei wichtig, »die Versäumnisse und Fehler bei Planung, Vorbereitung und Durchführung der documenta klarzustellen und Konsequenzen zu ziehen«.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, äußerte sich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) auch kritisch mit Blick auf die öffentliche Kulturförderung. »In Kassel geht es um volksverhetzende antisemitische Darstellungen, die nicht von der Kunstfreiheit gedeckt sind. So etwas darf nicht auch noch vom Staat subventioniert werden«, sagte er.
Kanzler Scholz sagte ab
Derweil hat sich der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle mit einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) gewandt, nachdem dieser erklärt hatte, die Weltkunstausstellung nicht besuchen zu wollen. Der OB halte die Absage Scholz' für unangemessen, da so die documenta »quasi unter Generalverdacht gestellt werde«, zitierte die »Hessische/Niedersächsische Allgemeine« einen Rathaussprecher. Ein Besuch des Bundeskanzlers ist allerdings kein fester Bestandteil des documenta-Programms.
Ein Stadt-Sprecher erklärte auch, dass derzeit keine Aufsichtsratssitzung vorgesehen ist. Bei den Sitzungen des Gremiums, dem Vertreter der Gesellschafter Stadt Kassel und Land Hessen angehören, werden üblicherweise auch mögliche strukturelle oder personelle Veränderungen erörtert. Zuletzt hatte es Rücktrittsforderungen gegen Generaldirektorin Schormann gegeben, die aber an ihrem Amt festhält.
© dpa-infocom, dpa:220625-99-793847/2