Regisseur Andreas Dresen setzt auch als Opernmacher auf Schwarmintelligenz. »Ich arbeite gerne im Ensemble und bin dabei mit anderen Menschen zusammen«, sagte der 59-Jährige am Rande einer neuen Produktion der Semperoper in Dresden - am 1. Juli hat dort seine Version von Tschaikowskys »Pique Dame« Premiere.
Dresen sagte, die Fantasie einer Gruppe sei viel größer als die einer einzelnen Person. Deshalb nehme er gern Ideen anderer auf. »Theater ist etwas Lebendiges, die Darsteller müssen sich ihren Raum, ihre Position auch selber suchen können.«
Respekt vor der Leistung der Musiker
Gerade in der Oper empfinde er sich als Lernender, betonte der mit zahlreichen Preisen geehrte Regisseur. »Oper ist sonst nicht mein Biotop. Im Film kenne ich mich besser aus. Deshalb ist die Arbeit für mich sehr spannend. Ich stoße hier auf immer neue Fragestellungen, die ich bisher nicht kannte. Das ist eine Selbstverunsicherung, der ich mich aussetze und die ich auch genieße.« Er habe einen unglaublichen Respekt vor der Disziplin und physischen Leistung von Musikern und Opernsängern.
Bei »Pique Dame« interessiert ihn vor allem die Hauptfigur Hermann - ein Mann, der zwischen seiner Liebe zu einer Frau und manischer Spielsucht hin- und hergerissen ist. »Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist in dieser Oper das zentrale Thema.« Hermann sei ein Außenseiter und wolle einer Welt angehören, in der die Leute ein besseres Leben führen. »Das hat für mich etwas sehr Gegenwärtiges. Man möchte anerkannt sein, wenn man ausgegrenzt wird.«
Der Regisseur sitzt zwischen allen Stühlen
Zwischen der Regie für Film und Oper sieht Dresen nur wenige Überschneidungen. »Das ist wie ein anderer Beruf, der nur an wenigen Punkten das gleiche Handwerkszeug erfordert.« Etwa wenn es darum gehe, große Gruppen von Menschen zu führen und psychologisch so mit ihnen zu arbeiten, dass sich ein gutes und damit produktives Klima einstelle. Man brauche eine Stimmung, wo »alle Lust auf die gemeinsame Unternehmung haben«. Anders als beim Film gebe es in der Oper aber nur wenig Platz für Improvisation. Den straffen Zeitplan allerdings hätten beide Künste gemeinsam.
Dresen greift nach eigenem Bekunden eher behutsam in einen Opernstoff ein. »Ich verändere schon, aber nicht was die Erzählstruktur des Ganzen betrifft. Ich schaue, wo sich dramaturgisch etwas straffen lässt, an welche Stellen man Akzente setzen kann.« Als Opernregisseur befinde man sich ohnehin in einem Dilemma. »Macht man es zu konventionell, dann ist einem nichts eingefallen. Und für Modernisierungen wird man vom Publikum gehasst. Man sitzt eben zwischen allen Stühlen.«
Oper zu inszenieren ist kein Wunschkonzert
»Mir ist es wichtig, die Geschichte so zu erzählen, dass sie von den Menschen verstanden wird«, sagte Dresen. Es gehe darum, eine eigene Sicht zu entwickeln und die Oper nicht als etwas Museales zu betrachten. »Ich versuche durch die Interpretation, das Bühnenbild, durch erzählerische Schwerpunkte eine Brücke in die Gegenwart zu bauen.« Deshalb wäre es ihm auch nicht im Traum einfallen, für die »Pique Dame« ein historisches St. Petersburg nachzubauen.
Dresen hatte 2006 in Basel erstmals bei einer Oper die Regie geführt - bei Mozarts »Don Giovanni«. Später folgte unter anderem »Arabella« von Richard Strauss in München. »Es gibt ein paar Stücke, die ich gern machen würde, die mir aber noch niemand angeboten hat«, sagte der Regisseur und nannte namentlich »Wozzeck« von Alban Berg. Für eine Pariser »Lulu«-Aufführung habe er einmal einen Drei-Minuten-Film gedreht und sich dafür viel mit Alban Berg beschäftigt. »Das ist ganz tolle Musik. Mich würde ohnehin reizen, bei der Oper ins 20. Jahrhundert, also mehr Richtung Gegenwart zu gehen. Als Regisseur kann man sich das aber leider nicht aussuchen, das ist ja kein Wunschkonzert.«
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