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Zurück zum Ess-Instinkt

Uwe Knop. Foto: pr
Uwe Knop. Foto: pr
GEA: Herr Knop, es ist jetzt 18 Uhr. Was haben Sie denn heute schon so alles gegessen?

Uwe Knop: (lacht) Wir hatten gestern ein kleines Fest, heute gab es die Reste des Büffets. Bei dessen Anblick ist mir wieder mal bewusst geworden, welche Vielfalt an Nahrungsmitteln wir in diesem Land hier haben. Man sollte dieses Angebot mit hohem Respekt schätzen und nicht die Hälfte davon als »ungesund« oder »gefährlich« abstempeln. Essen ist mit das Schönste auf der Welt.

Statt für »gesunde Ernährung« plädieren Sie für »echtes Essen«. Das heißt, nur dann essen, wenn man wirklich Hunger hat, und nur das essen, worauf der Körper Lust hat – weil er damit signalisiert, dass er genau das gerade braucht. Haben »moderne« Menschen dieses intuitive Körperwissen überhaupt noch?

Knop: Ja, das besitzt jeder Mensch, der den Kontakt zu sich nicht verloren hat. Die instinktiven Triebfedern Hunger und Lust teilen uns mit, welche Nahrung gut für uns ist. Ernährung im Einklang mit diesen Gefühlen stellt die individuell ausgewogene Nährstoffversorgung sicher. Wenn Sie permanent dieses System stören, indem Sie Ihre Gefühle hinterfragen oder sogar missachten, weil sie nicht zum gängigen pseudowissenschaftlichen Ernährungswissen passen, dann funktioniert das System irgendwann nicht mehr. Nehmen wir an, Sie haben so richtig Lust auf eine Currywurst. Aber Sie sagen sich: »Oh nein, das darf ich nicht essen, das ist zu fettig, ein Salat ist viel besser.« Dann arbeiten Sie mit Ihrem Verstand gegen Ihr intuitives Körperwissen. Das ist der falsche Weg. Je mehr die Gefühle Hunger und Lust in den Hintergrund geraten, desto unnatürlicher wird das »vernünftige« Essverhalten. Ess-Instinkte verkümmern, wenn sie permanent vom Verstand übertönt werden - das kann zu Essstörungen führen.

Was tun, wenn man den Zugang zu den Ess-Instinkten verloren hat?

Knop: Dann muss man zurückfinden zu mehr Selbst-Bewusstsein im wahrsten Sinne. Wie fühlt sich echter Hunger an im Vergleich zu vielen anderen Anlässen, wo man sich gedankenlos etwas in den Mund stopft? Essen Sie morgens, weil Sie Hunger spüren, oder weil man Ihnen gesagt hat, »Frühstück ist wichtig«? Essen Sie Müsli, weil Sie Lust darauf haben, oder weil es »gesund« ist? Ich sage: Raus mit allem, was Sie an vermeintlichem Ernährungswissen in Ihrem Kopf haben. Das stört die natürliche Entwicklung Ihrer Gefühle Hunger und Lust, das stört Ihre kulinarische Körperintelligenz - weil Sie dann immer mit dem Verstand intervenieren. Es gibt keine ungesunden Nahrungsmittel. Es gibt nur ungesunde Mengen oder ungesunde Anlässe, sich etwas reinzustopfen. Wenn Sie emotionale Probleme mit Essen kompensieren, dann ist das natürlich schlecht.

Wenn ich nicht aus Hunger, sondern aus Langeweile oder Einsamkeit futtere, dann muss ich an meinem Leben etwas ändern?

Knop: Exakt.

Das ist aber viel schwieriger als essen.

Knop: Es ist aber der einzige Weg zu ehrlicher Zufriedenheit. Sicher, es mag hart sein, sich einzugestehen: Ich komme heim, da ist niemand, ich fühle mich einsam - also haue ich mir Chips vor dem Fernseher rein. Das ist Hosen runterlassen vor sich selbst. Aber bitte, das gehört zum Menschsein dazu! Wenn ich was an meinem Leben verändern will, dann bedeutet das Stress. Die Frage ist: Was ist mir dieser Stress wert? Was bekomme ich dafür an Positivem, Neuem für mein Leben?

Kann man auch Kinder und Jugendliche nach Lust und Laune essen lassen – auf die Gefahr hin, dass sie sich von Pizza und Hamburgern ernähren?

Knop: Wir leben in einem Schlaraffenland. Diese Vielfalt an Nahrungsmitteln lernt der Körper in der Regel während des Heranwachsens kennen. Und der Körper braucht die Vielfalt, er wird dies rechtzeitig signalisieren. Lassen Sie es bei den Kindern und den Jugendlichen einfach laufen, die gehen nicht jeden Tag drei Mal zu McDonald’s. Und wenn es zu Hause ein breites Angebot an Lebensmitteln gibt, aber der Körper des Kindes ein ganz bestimmtes will, dann hat das einen Grund. Vorausgesetzt - und das ist immer das Allerwichtigste - das Kind isst aus echtem Hunger und nicht aus Langeweile oder aus Liebeskummer. Oder weil es einsam ist oder weil es in der Schule gemobbt wird. Das sind die Punkte, die man hinterfragen muss. Das Essen per se ist keine Gefahr.

Und wenn die Kinder nicht genug Vitamine und Mineralstoffe kriegen?

Knop: Darüber würde ich mir keinen Kopf machen. Das ist etwas, was gerade der jugendliche Körper noch sehr gut steuern kann. Kinder essen kaum Obst und Gemüse. Warum? Weil da wenig von dem drin ist, was sie brauchen. Sie brauchen vor allem Energie zum Wachsen. Von diesen ganzen Schutzstoffen im Obst und Gemüse benötigen sie wesentlich weniger als ein Erwachsener. Kinder essen kein Chili, keine Zwiebeln, keinen Pfeffer und so weiter. Warum mag man das als Erwachsener? Weil man instinktiv spürt: Das ist gut für mich. Damit kann mein Körper vielleicht irgendwas reparieren oder sauber machen. Ein kleiner gesunder Körper hat da keine Lust drauf. Wenn die Kinder gesund sind, dann unterstützen Sie sie in ihrem natürlichen Essverhalten. Wenn Sie ihnen bestimmte Nahrungsmittel aufzwingen und andere verbieten, dann kann es sein, dass das Gleichgewicht zwischen Körper und Verstand dauerhaft gestört wird.

Plädieren Sie beim Thema Übergewicht ebenfalls für Gelassenheit?

Knop: Auch beim Thema Übergewicht gibt es kaum eine Aussage, die pauschale Gültigkeit hat. Die erste Frage ist: Wie fühle ich mich? Wenn jemand keine drei Treppenstufen mehr hochsteigen kann, fühlt er sich mit Sicherheit nicht wohl. Dann ist das Gewicht natürlich ein Problem. Von solchen Fällen abgesehen gilt aber: Jeder Körper hat einen genetisch bedingten sogenannten Setpoint, sein Wohlfühlgewicht, das er erreichen will. Dieses individuelle Wohlfühlgewicht passt allerdings oft nicht in unser künstlich kreiertes Schlankheitsideal. Die zweite Frage ist dann: Fühle ich mich trotzdem wohl, auch wenn ich diesem Ideal nicht entspreche? Wenn dies beantwortet ist, kann ich eine Entscheidung treffen: Ich bleibe, wie ich bin, oder ich beginne den Kampf gegen meinen eigenen Körper.

Was aber, wenn es nicht nur um ein paar überflüssige Pfunde geht, sondern um starkes Übergewicht?

Knop: Dann müssen Sie überprüfen, warum Sie so schwer sind. Wenn Sie essen, obwohl Sie gar keinen Hunger haben, dann ist wiederum nicht die Ernährung das Problem, sondern die tiefer liegende Ursache. Wenn Sie die abstellen, werden Sie automatisch wieder dünner. Aber wenn einer »dick« ist und einen guten Job, eine nette Familie, viele Freunde und ein super Sexualleben hat, sich genug bewegt und die Blutwerte in Ordnung sind – warum soll man dem sagen: »Du musst abnehmen, sonst wirst du krank«? Gesundheit und Krankheit hängen nicht allein von der Ernährung ab. Die ist nur ein Baustein von vielen. (GEA) Interview: Gisela Sämann

Uwe Knop: Hunger & Lust. Das erste Buch zur kulinarischen Körperintelligenz, 156 Seiten, Books on Demand, 13,80 Euro