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Aktuell Interview

»Wir brauchen wieder Utopien«

Erst Banken- und Finanzkrise, dann die Aufstände in Afrika, Eurokrise, Ukraine, NSA-Affäre: Eigentlich bieten diese Zeiten einem politischen Liedermacher wie Konstantin Wecker Themen ohne Ende. Doch lieber widmet sich der 67-jährige Bayer seit einiger Zeit den großen Gefühlen: Liebesgedichten und Liebesliedern – auch auf seiner Jubiläumstour, die den Poeten am 12. Juni nach Reutlingen führt. Im Interview erzählt er von der politischen Kraft der Liebe.

GEA: In stürmischen Zeiten wie diesen ist eigentlich das politische Lied gefragt – doch stattdessen haben Sie sich zuletzt vor allem auf Lieder über die Liebe konzentriert. Warum?

Konstantin Wecker: Die Liebe ist beileibe nicht unpolitisch – vor allem, wenn man sie von verschiedenen Seiten und aus ihren verschiedenen Dimensionen her betrachtet. Ja, vielleicht sind alle Lieder und Gedichte, die jemals geschrieben wurden, eigentlich Liebesgedichte: Denn selbst politische Gedichte sind doch aus einer liebevollen Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren Welt entstanden.

Klingt nach einer sehr sanften Form der politischen Aussage.

Wecker: Wenn wir jetzt eine politische Änderung brauchen, muss diese mit einem liebevolleren Umgang untereinander einhergehen und mit reiferen Menschen. Denn im Endeffekt sind die wirklich guten linken Ideen – und zuerst mal ist alles, was der Sozialismus und Kommunismus von ihrer Grundidee her wollten, gut und anständig gewesen – daran gescheitert, dass die Menschen sich nicht im Griff hatten. Ich denke, für eine neue Politik bräuchte es auch eine neue Spiritualität: Ohne ein neues Bewusstsein wird es keine wirklich neue Politik geben.

Aber ist der Mensch dafür geschaffen? An die Stelle seines Egoismus müsste altruistisches Gemeinschaftsdenken treten.

Wecker: Ja, das wird seine Aufgabe sein. Dieses brutal egoistische Denken ist doch erst ein paar Tausend Jahre alt – im Verhältnis zur Erd- und Menschheitsgeschichte keine wirklich lange Zeit. Das heißt doch aber nicht – was uns die Neoliberalen einreden möchten – dass der Mensch des Menschen Wolf ist und daran nichts zu ändern wäre: Das ist alles eine Frage des Bewusstseins. Jeder, der mit Liebe Kinder aufwachsen sieht, wird feststellen, dass der Mensch auch egoistische Züge hat, doch vom Grunde seines Herzens ein empathisches Wesen ist.

Trotzdem noch einmal nachgehakt: Es scheint, als seien bei Ihnen in den letzten Jahren deutlich weniger politische als Liebeslieder entstanden.

Wecker: Es sind überhaupt deutlich weniger Lieder entstanden (lacht). Aber ich bin auch früher nie ausschließlich der politische Sänger gewesen und hätte sicher nie solch ein großes, auch weibliches Publikum bekommen, hätte ich nicht auch früher schon so viele Liebeslieder geschrieben.

In Krisenzeiten, heißt es, habe die Kultur Hochkonjunktur. Haben Sie das zuletzt auch gespürt?

Wecker: Kommerziell gesehen nicht – aber dafür spüre ich etwas anderes, das mir große Freude macht (lacht): Viele Journalisten fragen mich nämlich plötzlich: »Sagen Sie mal, Herr Wecker, empfinden Sie jetzt eigentlich eine Schadenfreude, wenn Sie sehen, dass Sie mit Ihren Analysen in den letzten Jahrzehnten doch Recht gehabt haben?« Wo ich noch vor ein paar Jahren als ewig gestriger Linker verpönt wurde und als Gutmensch abgestempelt, da machen sich plötzlich andere Töne breit – und das finde ich sehr interessant.

Was antworten Sie dann?

Wecker: Ja, ich empfinde eine richtig kleine Schadenfreude bei all dem, was da passiert ist. Nicht, weil ich mir sage, ich hätte ja doch Recht gehabt, denn wer etwas so vehement vertritt wie ich, der muss auch glauben, dass er recht hat. Aber ich finde es heilsam, wenn Leute in ihrem Hochmut gestürzt werden und von ihrem hohen Ross herunterkommen müssen – und das ist in vielen Fällen jetzt der Fall.

Keineswegs bei allen.

Wecker: Ja, in der Tat müssen wir erleben, dass die gleichen Politiker, die uns vor Jahren noch in dieses Desaster hineinmanövriert haben mit ihrer Ideologie, sich jetzt als Retter und ökonomische Fachleute aufspielen. Ich vermisse da eine Eigenschaft, die auch einem Politiker gut anstehen würde, nämlich zu sagen: Ja, ich habe mich geirrt, wir müssen da etwas anders machen.

Sie selbst haben vor einiger Zeit angemerkt, Sie hätten nie gedacht, dass Sie das Ende des Kapitalismus noch erleben würden. Nun scheint das mit dem Ende doch erst einmal nichts zu werden ...

Wecker: Der Kapitalismus muss zu Ende gehen oder die Welt geht zugrunde. Es muss ein radikales Umdenken her und ein anderes System, das sich aus den Hirnen und dem Bewusstsein ganz vieler Menschen entwickelt. Der Kapitalismus hat sich genauso überholt wie das kommunistische System; der liegt in den letzten Zuckungen.

Vielleicht braucht der Mensch den Kapitalismus, da er sich hier wie auf so vielen Feldern des Lebens am Ende im Wettkampf erproben möchte?

Wecker: Das wollen uns die Verfechter des freien Marktes seit Jahrzehnten einreden. Und teilweise ist es ihnen mit einer Art Gehirnwäsche auch gelungen: dass der Mensch den Wettbewerb braucht, den Kapitalismus mit all seinen Schweinereien und das Patriarchat. Aber das ist Quatsch!

Immerhin hat der Kapitalismus vielen auch einen gewissen Wohlstand gebracht.

Wecker: Kapitalismus kann den Menschen materiell nur kurzzeitig befriedigen, aber er ist kein Weg zum Glück. Für Milliarden ärmster Menschen sowieso nicht, doch auch noch nicht mal für diejenigen, die am meisten von dem System profitieren. Um sich als Mensch zu mehr Menschlichkeit zu entwickeln, muss man lernen, sich den Methoden des Kapitalismus zu entziehen. Also zärtliches Miteinanderlernen anstelle brutaler Trennung und Hierarchie, Mitgefühl üben und den Kindern vorleben. Wir brauchen wieder Utopien von einer gerechten Gesellschaft. Daran sollten wir arbeiten, nicht daran, ein marodes System kurzfristig vor dem Untergang zu bewahren.

Sie selbst sind in den letzten Jahren mit der Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager und dem Spring String Quartet auf Tour gegangen. Wird Wecker klassisch?

Wecker (lacht): Mir ist auf jeden Fall noch nie so wie bei diesem Programm aufgefallen, wie nahe ich dem Schubert bin – anscheinend war der für mich ab meinem zwölften Lebensjahr mein absoluter Lehrmeister.

Und die Schubert-Liebhaber haben nicht aufgestöhnt, als Sie gemeinsam mit Angelika Kirchschlager den »Erlkönig« gestaltet haben?

Wecker: Uns war wichtig zu zeigen: Klar ist Schubert heilig – was aber nicht heißt, dass man seine Musik entheiligt, wenn man sie ein bisschen anders gestaltet. Im schönsten Fall haben wir dadurch noch ein Stück mehr Intensität erreicht. Zudem bin ich mir ziemlich sicher, dass Schubert selbst sehr experimentierfreudig war und seine Lieder nicht nur in Kneipen gesungen, sondern auch mit ein paar Streichern gespielt hat. Das ist manchmal auch eine übertrieben deutsche Ernsthaftigkeit – in anderen Ländern geht man lockerer mit dem Lied um. (GEA)

// Konstantin Wecker: 12. Juni, 20 Uhr Naturtheater Reutlingen (ausverkauft) //