FREIBURG. »So kann’s losgehen, wa?«, sagte der bestens gelaunte Patrick Osterhage nach einer intensiven Partie nahe der 40-Grad-Grenze in der Mixed Zone beim Gang in die Kabine zu einem Vereinsmitarbeiter. Ja, so kann es wahrhaftig losgehen für den SC Freiburg. Es war der perfekte Start für die Breisgauer und ihren neuen Coach Julian Schuster, der Trainer-Legende Christian Streich augenscheinlich an der Seitenlinie in Sachen Emotionalität in fast nichts nachsteht, in die neue Bundesliga-Saison.
Beim VfB Stuttgart hingegen rätselte man auch noch eine Stunde nach dem Abpfiff über die vorangegangenen 90 Minuten, die mit einer krachenden 1:3-Niederlage zu Ende gegangen waren. Und das, obwohl es zunächst so ausgesehen hatte, als würde der Vizemeister an seine unglaubliche Erfolgssaison nahtlos anknüpfen können. Etwas mehr als 60 Sekunden waren am Samstagmittag erst gespielt, als Neuzugang Ermedin Demirovic nach einem Eckball sehenswert per Seitfallzieher ins rechte Eck traf.
Nach der Trinkpause wird das Spiel auf Reset gestellt
Ein Traum-Start, den man sich besser nicht ausmalen hätte können. Aber irgendwie hatte man sich ja auch bereits daran gewöhnt, dass sich die Stuttgarter immer wieder selbst überbieten und die Konkurrenz Woche für Woche ins Staunen bringen. Dass das jedoch alles andere als selbstverständlich ist, wurde allen VfB-Anhängern nach der Trinkpause in der 24. Minute deutlich vor Augen geführt. Das Spiel wurde von Schiedsrichter Tobias Welz mit seinem Wiederanpfiff um kurz vor 16 Uhr gefühlt auf Reset gestellt.
Die ultra-giftigen Freiburger kauften den Gästen in der Folge in allen Belangen den Schneid ab. War der SC plötzlich so gut oder der VfB so schlecht? In jedem Fall zeigten die Stuttgarter in den verbleibenden 75 Minuten die womöglich schlechteste Leistung, seitdem Trainer Sebastian Hoeneß im April 2023 das Ruder beim Traditionsclub aus Bad Cannstatt übernahm. Die ansonsten so dominant und selbstbewusst auftretenden Mannen um den neuen Kapitän Atakan Karazor, der einen sehr gebrauchten Tag erwischte und bereits nach 65 Minuten wie der ebenfalls blass gebliebene Deniz Undav ausgewechselt wurde, zeigten ein regelrechtes Fehler-Festival, wie man es lange nicht mehr gesehen hat. Defensiv viel zu zaghaft und anfällig, mit dem Ball deutlich zu uninspiriert und schlampig. Die Abläufe passten ganz und gar nicht. Jeder Spieler war zu sehr mit sich selbst zu beschäftigt.
Es fehlt an den Basics
Ist es womöglich eine Entschuldigung, dass mit Angelo Stiller ein defensiver Mittelfeldspieler die Rolle des zentralen Abwehrspielers aufgrund von großen Verletzungsproblemen ausfüllen musste? Nicht wirklich, wenn man bedenkt, dass der 23-Jährige diese Aufgabe in der vergangenen Saison - unter anderem im Spitzenspiel beim BVB - bereits mit Bravour meisterte. Vor allem dient es nicht als Ausrede, weil beim VfB insbesondere die Körpersprache über einen Großteil der Partie überhaupt nicht stimmte. Vielleicht war es den hohen Temperaturen geschuldet, doch diese blieben schließlich auch den Hausherren nicht erspart.
Und so musste man sich bei den Stuttgartern schon fragen: Ist es bis zu Karazor, Stiller und Co. durchgedrungen, dass die Bundesliga an diesem Wochenende in ihre 62. Saison startet? Es hatte teilweise eher etwas von einem lauen Sommer-Kick und es fehlte an den Basics. Mit laut statistisch nur 0,46 (Quelle: DFL) zu erwartenden Toren des VfB war der Freiburger Heimsieg nach dem Doppelpack von Rechtsverteidiger Lukas Kübler und dem Treffer von Flügelspieler Ritsu Doan zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Auch ein noch höherer Erfolg wäre für die Schuster-Elf kein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
Ein Zeichen zur richtigen Zeit?
Deshalb war man gespannt, was die Stuttgarter Profis nach der Partie als Erklärung zu Protokoll gaben. »Wir müssen weitermachen, den Kopf oben lassen und uns gar nicht so viel damit beschäftigen. Am Dienstag gehts ja im Pokal gegen Münster schon weiter. Und es ist im Endeffekt nur das erste Spiel gewesen«, betonte Torschütze Demirovic. Keeper Alexander Nübel, der beim 2:1 keine optimale Figur abgab, sagte derweil: »Letztes Jahr haben uns solche Niederlagen eigentlich oftmals geholfen. Das wird hoffentlich auch dieses Mal der Fall sein.« Und der zum Sportvorstand beförderte Fabian Wohlgemuth? »Vielleicht war es ein Zeichen zur richtigen Zeit«, meinte der 45-Jährige. Das mag sein.
Dennoch wirft diese Leistung nach dem starken Auftritt in der Vorwoche im Supercup gegen Leverkusen einige Fragen auf. Überbewerten sollte man den schwachen Auftritt im Baden-Württemberg-Derby nicht. Genauso wenig jedoch einfach ignorieren. Genau das Gegenteil wird im selbstkritischen Stuttgarter Lager der Fall sein. Hoeneß und sein Trainerteam werden die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Und so könnte dem Satz von Wohlgemuth in der Nachbetrachtung eine entscheidende Bedeutung zukommen. Vielleicht war es ja doch ein notwendiges Zeichen an die Mannschaft, dass es nun wieder bei Null losgeht, der Erfolg nicht gepachtet ist und die Ergebnisse aus der vergangenen Erfolgssaison nichts mehr zählen. (GEA)