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Kaum Schiedsrichter: Bald Spielausfälle im Bezirk Alb?

Schiedsrichter sind Mangelware in der Region. Schon kommende Saison könnten Partien der Fußball-Kreisliga nicht mehr besetzt werden. Der GEA erklärt, welche Szenarien dann drohen.

FOTO: WALTHER/EIBNER
Foto: Eibner-Pressefoto/Sascha Walther
Foto: Eibner-Pressefoto/Sascha Walther

REUTLINGEN. »Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht«, grölen wütende Fußballfans nicht nur in den Bundesliga-Stadien, sondern auch an den Spielfeldrändern der örtlichen Fußballplätze. Hass und Hetze gegen Unparteiische gehören zum Fußball wie das Amen in der Kirche. Schiedsrichter sein »ist wenig sexy«, sagt Bundesliga-Schiedsrichter Felix Zwayer »Da haben die jungen Leute keinen Bock drauf.« Aber wie heikel ist die Lage auf dem Feld wirklich? Der GEA hat bei Schiedsrichtern in der Region nachgefragt, ob es noch genügend Referees gibt, was der Nachwuchs macht und wie mit den Unparteiischen umgegangen wird.

»Es wird so sein, dass Spiele ausfallen, oder einer pfeift, der beim Sportplatz ist«

Schaut man in den hiesigen Bezirk Alb, wird schnell klar: Längst ist Zwayers Vermutung bittere Realität. »Wir haben große Probleme«, sagt Daniel Leyhr, Obmann der Reutlinger Schiedsrichtergruppe. »Es wird immer schwieriger, die Spiele zu besetzen.« Konkret bedeutet das für Reutlingen: »Wir haben rund 50 Schiedsrichter zu wenig.« Alarmierende Zahlen bei 100 aktiven Schiedsrichtern, die für Spiele laut Leyhr zur Verfügung stehen. »Der Aktiven-Einteiler kämpft jedes Wochenende bis kurz vor dem Anpfiff. In der Kreisliga B gibt es nicht mehr genügend Personal«, sagte der Obmann während der vergangenen Saison. Corona habe den personellen Engpass weiter verschärft. »Aber die Probleme waren auch davor schon da«, betont er.

Auch seine Prognose lässt wenig Gutes vermuten. »Ich gehe davon aus, dass es noch schlechter werden wird. Es wird so sein, dass Spiele ausfallen, oder sich die Vereine darauf einigen, dass einer pfeift, der beim Sportplatz ist«, sagt Daniel Leyhr. Können sich die Teams nicht arrangieren, wer die Aufgabe übernimmt, falle die Partie aus.

Noch konkreter wird Markus Werthmann, Obmann der Schiedsrichtergruppe Münsingen: »Ich befürchte, im Bezirk können in der nächsten Saison nicht mehr alle Spiele in der Kreisliga B besetzt werden.« In Münsingen sei die Lage noch angespannter als in Reutlingen. Etwa 70 Schiedsrichter sind aktiv, allerdings sei ein Drittel aus persönlichen Gründen nicht jedes Wochenende einsetzbar. Fünf Jahre lang konnte in Münsingen nicht mal mehr ein Neulingskurs für angehende Schiedsrichter stattfinden, »weil es keine Interessenten gab«. Was bleibt, ist eine große Lücke. »Wir bräuchten mindestens 20 Leute mehr, die pfeifen können«, sagt der erfahrene Obmann. Für den ganzen Bezirk, meint Werthmann, müssten es gar 160 mehr sein, um für alle Spiele gut aufgestellt zu sein.

»Ich hätte früher zum Schiedsrichter niemals ›du Arsch‹ gesagt«

Während Spiele ohne Schiedsrichter bei den aktiven Kickern noch Zukunftsmusik sind, zeigt sich im Jugendbereich bereits heute, was in den kommenden Jahren droht: Fußballspiele ohne Referee. Schon heute können viele Jugendspiele im Bezirk Alb nicht mehr besetzt werden. »Da taucht am Wochenende kein Schiedsrichter mehr auf«, sagt Daniel Leyhr über die Situation in der D- und C-Jugend in Reutlingen. Auch in Münsingen muss der Nachwuchs ohne Fachpersonal auskommen. »Die F- und E-Jugend wird gar nicht besetzt«, sagt Markus Werthmann. Gleiches gelte für sämtliche Mädchenmannschaften.

Doch woran liegt’s, dass immer weniger Schiedsrichter am Wochenende auf den Fußballplätzen stehen? "Es gibt sicher viele Gründe, die dazu führen", denkt Werthmann. Einer davon: "Die verbale Gewalt hat deutlich zugenommen." Heute sei es "normal", dass wüste Beschimpfungen von Spielern, Trainern und Fans an den Unparteiischen gerichtet werden. »Ich hätte früher zum Schiedsrichter niemals ›du Arsch‹ gesagt«, sagt der Obmann, der seit 17 Jahren in seiner Funktion tätig ist. "Der Respekt und die Wertschätzung gegenüber uns ist nicht mehr da", betont er.

Ich teile diese Meinung, sagt Daniel Leyhr. Als Totschlagargument, sich gegen das Schiedsrichtersein zu entscheiden, sieht er den unschönen Ton aber nicht. »Wenn man gelernt hat, damit umzugehen, ist es eigentlich kein Problem.« Trotzdem sei es natürlich ärgerlich und nicht hilfreich, wenn die sachliche Ebene verlassen werde. Viel zu häufig passiere genau das, meint Werthmann. »Was sich Schiedsrichter-Neulinge von Trainern, Spielern, aber auch Eltern anhören müssen, geht auf keine Kuhhaut.«

Ein weiteres Problem: Die Fußball-Vereine würden das Thema Schiedsrichter nicht ernst genug nehmen, denkt der Münsinger Obmann. »Viele Vereine zahlen lieber eine vierstellige Summe Strafe an den Württembergischen Fußball Verband, statt sich selbst um Schiedsrichter zu kümmern.«

»Viele Vereine zahlen lieber eine vierstellige Summe Strafe an den Verband«

Aber es gibt auch Hoffnung: Nach fünf Jahren ohne Neulingskurs fand letztes Jahr in Münsingen wieder eine Veranstaltung für 15 angehende Schiedsrichter statt. Auch in Reutlingen gab es einen Kurs mit 30 Leuten. »Schwierig wird es, die angehenden Schiedsrichter bei der Stange zu halten«, denkt Daniel Leyhr. Seine Idee, um für mehr Verständnis zwischen Trainern, Schiedsrichtern und Spielern zu sorgen: »Ich fände es gut, wenn Trainer eine Schiedsrichterausbildung machen müssen, um zu sehen, wie die andere Seite der Medaille ist.« Dies sei ein möglicher erster Schritt, um aus der Misere zu kommen, aber noch lange nicht die Lösung des Problems. (GEA)