Braunschweig (dpa) - Alexander Gauland (78) hat sein Feld bestellt. Auf dem Parteitag in Braunschweig setzt sich sein Wunschkandidat Tino Chrupalla (44) in einer Stichwahl gegen Gottfried Curio durch.
Der Bundestagsabgeordnete ist bei seinen Parteikollegen zwar für seine harte Rhetorik gegen Migranten bekannt. So gut in der AfD vernetzt wie Chrupalla ist Curio aber nicht. In der Fraktion gilt er als Einzelgänger.
Nach seinem Wahlsieg überreicht die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch Chrupalla ein Geschenk: eine grüne Krawatte mit gelben Hunden - Gaulands Markenzeichen. Doch ein Schlips allein macht noch keine Führungsfigur. In seine neue Rolle wird der Malermeister aus Sachsen erst noch hineinwachsen müssen. Gauland, der gewiefte Taktierer, hinterlässt eine große Lücke.
Er hat in den vergangenen vier Jahren dafür gesorgt, dass sich die AfD nicht zerlegt hat - keine leichte Aufgabe in einer Partei, in der sich Nationalisten, enttäuschte Konservative, Libertäre, Wirtschaftsliberale, Verschwörungstheoretiker und Nato-Gegner tummeln. Das weiß Chrupalla auch. In seiner Antrittsrede sagt er über Gauland: »Den Zusammenhalt der Partei haben wir vor allem ihm zu verdanken.«
Eine politische Neuausrichtung der Partei lässt sich an Chrupallas Wahlsieg nicht ablesen. Denn er hat zwar Unterstützung vom rechtsnationalen »Flügel« erhalten. Geschichtsrevisionismus, Tabubrüche und nationales Pathos, wie sie bei den »Flügel«-Treffen zu finden sind, gehören aber nicht zu seinem Repertoire.
Da wo jeweils ein »Flügel«-Kandidat gegen jemanden antritt, der dem Lager der Gemäßigten zugerechnet wird, zeigt sich: die Rechtsnationalen können sich inzwischen auf gut 35 Prozent der Delegierten verlassen. Das ist etwas mehr als bei der letzten Wahl vor zwei Jahren.
Jörg Meuthen hat etwas Federn gelassen, seitdem er sich mit den Rechtsaußen-Mitgliedern angelegt hat. Er erhielt etwas weniger Stimmen als vor zwei Jahren. Doch nach dem Abgang von Gauland und seiner zweiten Wiederwahl zum Co-Vorsitzenden ist er jetzt das Schwergewicht an der Parteispitze.
Vieles ist bei der AfD anders als bei anderen Parteien. Einige Absprachen, die hinter den Kulissen getroffen wurden, funktionieren in Braunschweig nicht. Ein Beispiel ist die Wahl des Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner zum Parteivize. Der für seine extremen Äußerungen auf Twitter bekannte Überraschungskandidat bringt die Delegierten mit einer knalligen Rede auf seine Seite.
Besonders ist bei der AfD auch, wie offen Rivalitäten, Neid und Hass auf dem Parteitag zutage treten. »Nordkorea pur« nennt der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz einige der jüngsten Entscheidungen des Bundesschiedsgerichts, das für den Rauswurf von Mitgliedern aus der AfD zuständig ist. Der geschasste Finanzchef der AfD-Bundestagsfraktion, Frank Krahl, attackiert Chrupalla, als der für sich reklamiert, die Fraktionsfinanzen geordnet zu haben. Das sei ja wohl dreist, gibt Chrupalla zurück. Als Wolfgang Gedeon spricht, der wegen Antisemitismusvorwürfen aus der baden-württembergischen Landtagsfraktion geflogen war, ertönen »Pfui«-Rufe.
Auch Meuthen muss sich gegen parteiinterne Kritiker zur Wehr setzen, die ihn wegen der Parteispendenaffäre hart angehen. Er sei »patriotisch, nicht nationalistisch«, sagt er und betont: »Für eine Rechtsaußenpartei stünde ich nicht zur Verfügung.«
Gauland hat schon vor Monaten nach einem Nachfolger Ausschau gehalten. Chrupalla erschien ihm und der Co-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel als perfekte Besetzung für die Parteispitze: Ostdeutscher, Familienvater, Handwerker, keine größeren Skandale. Chrupalla hat in Sachsen bewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann. Auch dies ein Grund dafür, dass Weidel seine Kandidatur für den Vorsitz unterstützte: »Der Mann gehört genau da hin«, sagt sie.
Die Absprachen, die Weidel in den vergangenen Tagen und Wochen getroffen hat, auch mit dem rechtsnationalen »Flügel«, funktionieren. Als sie, die im Bundesvorstand bisher Beisitzerin war, ihre Kandidatur für einen der drei Vize-Posten verkündet, meldet sich kein einziger Gegenkandidat.
Das war vor zwei Jahren noch anders. Damals hatte der »Flügel«-Gründer und AfD-Landeschef in Thüringen, Björn Höcke, noch versucht, Weidels Wahlsieg zu verhindern. Heute nennt er sie eine »Leistungsträgerin« und sagt, »dass ich Frau Weidel als Mensch auch sehr wertschätze«.
Höcke wird auf dem Parteitag von einem sächsischen Bundestagsabgeordneten aufgefordert, für einen der drei Stellvertreterposten zu kandidieren. Er lehnt ab. Lars Herrmann, der ihn vorgeschlagen hat, ist kein Anhänger von Höcke. Er will ihn vorführen, weil er davon ausgeht, dass der in der AfD-Thüringen so mächtige »Flügel«-Gründer hier keine Mehrheit hinter sich hat.
Gauland legt in Braunschweig seine persönliche AfD-Bilanz vor. »Wir haben dieses Land verändert. Und wir haben den Menschen eine Stimme gegeben, die sich allein kaum noch trauten, der Auflöung unseres Nationalstaates in der Merkelschen Willkommenskultur zu widersprechen.« Und Gauland gibt seiner Partei ein paar Dinge mit auf den Weg. Vor allem den Rat, strikt an ihrem Kurs festzuhalten.
Seine Prognose: Irgendwann wird die CDU mangels anderer Machtoption gar keine andere Wahl haben als ihre Boykotthaltung gegenüber der AfD aufzugeben. Wie Gauland geben auch Meuthen und Andere das Ziel aus, dass die AfD professioneller werden muss, um dann regierungsfähig zu sein. Gauland mahnt: »Mich treibt die Sorge um, dass wir den Mantel der Geschichte verfehlen, um in Bismarcks Bild zu bleiben. Die Chance, die wir mit der AfD haben, kommt nicht zurück, wenn sie vertan ist.«