STUTTGART. Um 22:17 Uhr am Freitagabend brachen alle Dämme in der Stuttgarter MHP-Arena. Es war ein Treffer, der dem abstiegsgefährdeten 1. FC Heidenheim die Welt bedeutete. Gefühlt die halbe Ostalb, es waren ein Dutzend Ersatzspieler, stürmte nach 89 Minuten auf das Feld und wollte den Siegtorschützen Mathias Honsak herzen. Der erst kurz zuvor eingewechselte Österreicher konnte sein Glück kaum fassen. Mit einem Traumtor von der Sechzehnerkante stellte er den gesamten Spielverlauf auf den Kopf und sorgte dafür, dass der VfB am Ende mal wieder blöd aus der Wäsche schaute und beim 0:1 (0:0) gegen den Tabellen-16. die bereits sechste (!) Heimniederlage in Folge kassierte.
Darüber, ob die Gedanken von Nübel, Undav und Co. schon beim Pokalfinale im Berliner Olympiastadion sind und waren, kann man nur spekulieren. Wirkliche Argumente gegen diese Unterstellung lieferten die Stuttgarter jedoch nicht. Vor allem nicht in der ersten Hälfte. Von einer guten Chance Heidenheims nach einer Abseitsposition abgesehen, war das große Highlight der ersten 30 Minuten der Schuhwechsel von Angelo Stiller. Es war als würde man die Partie in Dauerschleife vor- und zurückspulen. Die Gäste standen tief und lauerten auf Konter. Der VfB spielte von links nach rechts und von rechts nach links. Und dann wieder von vorne. Der FCH, der die beiden VfB-Sechser Stiller und Kapitän Atakan Karazor mit einer Manndeckung gut aus der Partie nahm, schob fleißig hin und her und machte die Räume eng.
Warum Demirovic einen schwierigen Stand bei den Fans hat
Warum Stuttgarts Angreifer Ermedin Demirovic trotz seiner bislang sehr ordentlichen 13 Saisontore, nur sieben Stürmer schießen in der Bundesliga noch mehr Tore, einen insgesamt doch eher schwierigen Stand im Fanlager des Vizemeisters hat, zeigte sich nach 31 Minuten. Verstolperte der 27-Jährige in der Vorwoche beim wilden 4:4 gegen Union Berlin alleinstehend vor dem gegnerischen Keeper den Ball, verhaute der 21 Millionen Euro schwere Sommerzugang gegen Heidenheim erneut eine hundertprozentige Tormöglichkeit. Undav setzte seinen Stürmerkollegen mit einem klasse Steilpass perfekt in Szene, doch Demirovic scheiterte freistehend am herausstürmenden Gäste-Torwart Kevin Müller.
Gleiches Bild auch im zweiten Durchgang. Wieder war es Undav, der den bosnischen Teamspieler mit einem Steckpass besser nicht in Szene setzen konnte. Wieder stand Demirovic alleine vor Müller. Und wieder vergab der Stuttgarter. Weil er dieses Mal zu lange für den Abschluss brauchte, spitzelte Frans Krätzig - in der Hinrunde noch erfolglos an den VfB ausgeliehen - den Ball im letzten Moment noch weg. In eine bessere Abschlusssituation können Mitspieler einen Bundesliga-Angreifer nicht bringen. Nach 79 Minuten lief Demirovic mit hängenden Schultern vom Platz. Sein Arbeitstag war beendet. Ein bitterer Abend.
Denn vor dem Last-Minute-K.o. waren es die Hausherren, die mit aller Macht auf den Führungstreffer drängten. Nach der dicken Demirovic-Chance traf der eingewechselte Nick Woltemade zehn Minuten vor dem Ende aus rund sieben Meter die Latte. Wenige Augenblicke später setzte Undav eine Stenzel-Ecke per Kopf an den Pfosten. In der 86. Minute kamen die Stuttgarter schließlich gleich zu mehreren Gelegenheiten in einer Aktion. Doch die Heidenheimer warfen sich mehrfach und mit allen Mann im Strafraum in die Abschlüsse von Stenzel und Stiller. Nichts, aber rein gar nichts sprach in der Schlussphase für die Heidenheimer. Dann kam Honsak und schockte mit seinem Geniestreich die ausverkaufte MHP-Arena und vermutlich sogar die zahlreich mitgereisten eigenen Anhänger.
»Langsam ist es echt schwierig, Worte dafür zu finden«, sagte VfB-Stürmer Woltemade nach dem Spiel bei Dazn. »Wir haben genug Chancen. Wenn heute das erste Tor fällt, geht das Spiel anders aus. Aber es ist wieder mal nicht gefallen.« Währen die Heidenheimer Big Points einfahren und sich vorerst ein Fünf-Punkte-Polster auf den 17. Bochum erspielt haben, kann man mit Blick auf die Gemüter der VfB-Fans von Glück sagen, dass das Pokalfinale in einem Monat noch vor der Tür steht. Denn nach dem Schlusspfiff mussten Stenzel und Undav die aufgebrachten Anhänger in der Fankurve beruhigen. Die Stimmung droht allmählich zu kippen im Ländle. (GEA)