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Aktuell Interview

VfB Stuttgart: Zwischen Pokaltraum und Zukunftsvision

Verantwortung, Vision und Verein: Vor dem DFB-Pokalfinale sprechen Präsident Dietmar Allgaier und sein Vize Andreas Grupp im GEA-Interview über den VfB Stuttgart.

VfB-Präsident Dietmar Allgaier (rechts) und sein Vize Andreas Grupp beim GEA-Redaktionsbesuch.
VfB-Präsident Dietmar Allgaier (rechts) und sein Vize Andreas Grupp beim GEA-Redaktionsbesuch. Foto: Schanz
VfB-Präsident Dietmar Allgaier (rechts) und sein Vize Andreas Grupp beim GEA-Redaktionsbesuch.
Foto: Schanz

REUTLINGEN. Es ist das wichtigste Spiel für den Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart in dieser Saison. Wenn der Tabellen-Neunte am Samstag (20.00 Uhr/ZDF, Sky) im Berliner Olympiastadion das DFB-Pokalfinale gegen Arminia Bielefeld verliert, geht der Europa-League-Startplatz für die kommende Spielzeit nicht an die Schwaben, sondern an den Drittliga-Meister.

GEA: Herr Allgaier, es gab unheimlich viele Anfragen für Tickets. Wie viele Male hätte der VfB das rund 75.000 Zuschauer fassende Berliner Olympiastadion füllen können?
Dietmar Allgaier: Auf den Portalen gab es laut verschiedenen Quellen 900.000 Versuche von Interessenten um Tickets zu erwerben. Wenn man das hernimmt, hätten wir das Stadion zehn bis zwölf Mal füllen können. Wir als VfB haben letztlich etwas über 24.000 Karten bekommen.

Wie vielen Leuten mussten Sie da eine Absage erteilen?
Allgaier: Sehr vielen. Auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis war die Nachfrage riesig. Da konnte ich irgendwann nur noch standardisiert antworten. Jedem individuell zu begründen, warum uns nicht mehr Tickets zur Verfügung stehen, war nicht möglich.

Und wie war’s bei Ihnen, Herr Grupp?
Andreas Grupp: Ganz ähnlich. Ich hatte über 120 Einzelanfragen. Das war schon viel. Die zu bedienen, ging natürlich nicht.

Zu den Personen

Dietmar Allgaier wurde 11. Juni 1966 in Stuttgart geboren. Nach seiner Fachhochschulreife absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten. Danach studierte er an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg und schloss als Diplom-Finanzwirt ab. Von 1992 bis 1996 war er im Finanzamt Ludwigsburg, anschließend bis 2008 in der Steuerfahndung Stuttgart beschäftigt. Von 2008 bis Anfang 2020 war er zunächst als Bürgermeister und zweiter Beigeordneter, später als Erster Bürgermeister in seiner Heimatstadt Kornwestheim tätig. 2020 trat Allgaier das Amt des Landrats des Landkreises Ludwigsburg an. Als Präsident ist Allgaier gleichzeitig der Vorsitzende des Aufsichtsrates der VfB AG. Der 58-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Andreas Grupp wurde am 25. November 1983 in Albstadt-Ebingen geboren. Aufgewachsen ist er mit seiner Schwester Isabel in Trochtelfingen, wo der heute 40-Jährige beim dortigen TSV neben Tennis auch Fußball spielte. 2005 schaffte der rechte Defensivspieler unter dem damaligen Trainer Heinz Rudloff mit den Aktiven den Aufstieg in die Landesliga, Staffel 4. Nach seinem Studium an der Hochschule in Reutlingen startete er 2008 bei Aldi Süd ins Berufsleben. Seit 2018 verantwortet er als Director Real Estate das gesamte Immobilienportfolio von ALDI in der Region Aichtal. Derzeit lebt der Neffe von Trigema-Boss Wolfgang Grupp mit seiner Partnerin in Reutlingen. (GEA)

Beim letzten Pokalsieg des VfB waren Sie 13 Jahre alt. Wie erinnern Sie sich an das 2:0 Mitte Juni 1997 gegen den damaligen Regionalligisten Energie Cottbus?
Grupp: Damals sind wir mit Familie und Freunden vor dem Fernseher gesessen. Ich weiß noch, wie Giovane Elber die beiden Tore gemacht hat und wie danach Trainer Jogi Löw die Haare abrasiert wurden. Das fand ich sensationell.

Bei den Wettanbietern ist Stuttgart klarer Favorit. Erhöht die Gefahr einer möglichen Blamage gegen einen Drittligisten den Druck zusätzlich?
Allgaier: Die ganze Region Stuttgart fiebert diesem 24. Mai entgegen. Man hat den Eindruck, alle Menschen hier fahren nach Berlin – egal, ob sie ein Ticket haben, oder nicht. Die Erwartungshaltung ist gewaltig. Bielefeld hat auf dem Weg ins Finale aber bekanntlich einige Bundesligisten abgeräumt. Deshalb werden wir auf der einen Seite mit Respekt und Demut ins Spiel gehen. Auf der anderen Seite ist da aber natürlich der Ehrgeiz, den Pokal endlich mal wieder nach Stuttgart zu holen.

Zum Duell mit den GEA-Sportredakteuren am Tischicker: Dietmar Allgaier (links) und Andreas Grupp.
Zum Duell mit den GEA-Sportredakteuren am Tischicker: Dietmar Allgaier (links) und Andreas Grupp. Foto: Schanz
Zum Duell mit den GEA-Sportredakteuren am Tischicker: Dietmar Allgaier (links) und Andreas Grupp.
Foto: Schanz

Wird für Trainer Sebastian Hoeneß beim VfB ein Denkmal erstellt, wenn er in Berlin den Titel holt?
Allgaier: Vielleicht ja für den Pokal… (schmunzelt). Sebastian Hoeneß hat einen großen Anteil daran, dass der VfB auf Erfolgskurs ist. Wir sind absolut davon überzeugt, dass er der richtige Trainer für uns ist. Deshalb hat der Vorstand in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat im März den Vertrag mit Sebastian vorzeitig verlängert. Wir wollen mit ihm nicht nur jetzt den Pokal holen, sondern die insgesamt so positive Entwicklung weiter fortsetzen und nachhaltig sportlich erfolgreich sein.

Grupp: Man muss sich immer auch vor Augen halten, wo der VfB vor etwas mehr als zwei Jahren stand. Tabellarisch war man damals am Abgrund. Gemeinsam mit den Verantwortlichen um Alex Wehrle und Fabian Wohlgemuth hat Sebastian die richtigen Schritte eingeleitet und die Mannschaft über die Relegation zum Klassenerhalt geführt. Es folgte die beste VfB-Saison aller Zeiten, was Siege und Punkte anbelangt. Jetzt steht der VfB im Pokalfinale. Es ist wirklich beachtlich, was hier in dieser kurzen Zeit geschaffen wurde. Vor allem mit dem Blick auf das Auf und Ab der 10, 15 Jahre davor.

»Das Schöne am Fußball ist doch, dass wir im Stadion 60.000 Trainer haben und jeder kommentiert«

Dennoch hat es in dieser Saison nicht wieder zu einem absoluten Spitzenplatz gereicht. Ist das Abschneiden in der Bundesliga damit enttäuschend?
Allgaier: Das möchte ich so nicht sagen. Alexander Wehrle hat vor der Saison bewusst das Ziel ausgegeben, möglichst schnell die Marke von 40-Punkten zu erreichen. Es war klar, dass die zusätzliche Belastung durch die Champions League eine große Herausforderung darstellen würde. Dazu kamen die vielen Abstellungen zu den Nationalteams. Unter dem Strich war es unter diesen Vorzeichen eine gute Saison, 50 Punkte nach 34 Spieltagen hatte der VfB in der Bundesliga in den vergangenen 15 Jahren zuvor nur dreimal auf dem Konto.

Wie geht der Verein allgemein mit der gestiegenen Erwartungshaltung um?
Grupp: Man muss immer berücksichtigen, wo wir herkommen. Der VfB hat eine riesige Strahlkraft. So viele Menschen sind an ihm interessiert – und jeder hat eine Meinung. Das Geschäft ist sehr, sehr schnelllebig, die Ansprüche im Umfeld wachsen dementsprechend. Umso wichtiger ist deshalb, so ruhig und besonnen zu agieren, wie das der Vorstand tut.

Allgaier: Das Schöne am Fußball ist doch, dass wir im Stadion 60.000 Trainer haben und jeder kommentiert. (Lacht) Wir beide sind auch zwei davon.

»Es herrscht eine beeindruckende Dynamik. Der VfB hat eine gewaltige Strahlkraft in ganz Baden-Württemberg. «

Sie sind nun beide zehn Monate im Amt. Was haben Sie in dieser Zeit über den Verein gelernt?
Allgaier: Es herrscht eine beeindruckende Dynamik. Der VfB hat eine gewaltige Strahlkraft in ganz Baden-Württemberg. Die Mitarbeiter der AG als auch alle Gremienmitglieder engagieren sich enorm für den VfB. Es macht einfach Spaß zu sehen, dass wir gemeinsam an unseren Zielen arbeiten. Wir setzen mit unserer Stiftung auch gesellschaftspolitisch tolle Schwerpunkte. Darüber hinaus unterstützen wir viele soziale Projekte außerhalb des Vereins. Mit der VfB-im-Ländle-Tour können wir zum Beispiel nach Reutlingen, Metzingen oder wo auch immer auf dem Marktplatz kommen und uns dort präsentieren, weil wir auch dort identitätsstiftend sind.

Grupp: Und dies auch fernab des Fußballs. Seit ich in dieser Funktion bin, habe ich viel mehr das Innenleben des VfB kennengelernt – und natürlich auch alle Abteilungen. Zu sehen, wie viele Leute sich für den Verein ehrenamtlich engagieren und was das für eine starke Gemeinschaft ist, war schon beeindruckend.

Das Netzwerk bei der Talentsichtung wird immer engmaschiger. Den Vereinen geht da kaum noch ein guter Jugendspieler durch die Lappen. Ist die dann folgende fußballerische Ausbildung des Nachwuchses beim VfB eigentlich quantifizierbar?
Allgaier: Die Nachwuchsförderung wird beim VfB traditionell großgeschrieben. Unsere U 21 hat mit der jüngsten Mannschaft den Klassenerhalt in der 3. Liga geschafft. Das ist für die Ausbildung der Talente enorm wichtig. Die U 19 hat auf europäischer Ebene in der Youth League großartige Leistungen gezeigt, die U 17 steht im Halbfinale um die deutsche Meisterschaft. Über allem steht das Ziel, dass möglichst viele Spieler aus dem eigenen Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) den Sprung zu den Profis schaffen.

»Allein die große Anzahl an U-Nationalspielern aus den verschiedenen Nachwuchsteams verdeutlicht, wie viele hoffnungsvolle Talente wir beim VfB haben«

Welche Nachwuchsspieler des VfB sollte man für die kommenden Jahre im Visier haben?
Grupp: Allein die große Anzahl an U-Nationalspielern aus den verschiedenen Nachwuchsteams verdeutlicht, wie viele hoffnungsvolle Talente wir beim VfB haben. Namen zu nennen ist an dieser Stelle aber sicher nicht zielführend, die Jungs sollen sich in aller Ruhe entwickeln können.

Ab welchem Alter ist es denn für einen jungen, talentierten Spieler zum Beispiel hier aus unserer Region sinnvoll, zum VfB zu wechseln?
Allgaier: Das ist im Detail natürlich eher eine Frage für die Fachleute aus unserem NLZ. Grundsätzlich muss man sicherlich differenzieren. Es kommt zum Beispiel darauf an, welchen Rahmen der jeweilige Verein einem jungen Spieler bieten kann. Beim SSV Reutlingen kann ein junges Talent sicherlich länger bleiben, als bei einem Verein, bei dem die Voraussetzungen nicht so gegeben sind, wie an der Kreuzeiche.

Wie macht man den Fans und Anhängern eigentlich klar, dass der VfB zwar ihr Herzensclub ist, allerdings viel mehr ein Wirtschaftsunternehmen darstellt?
Grupp: Sicherlich ist im Profifußball sehr viel Geld im Umlauf. Das schließt aber nicht aus, dass ein Traditionsverein wie der VfB immer auch die Gedanken der Mitglieder und Fans berücksichtigt. Unser Austausch mit der Basis ist vielschichtig und regelmäßig, wir wissen, was der VfB den Menschen bedeutet.

Allgaier: Die VfB AG ist ein Wirtschaftsunternehmen. Dieses und auf der anderen Seite aber auch das 64 Jahre alte Mitglied, das Spaß daran hat, Sport zu treiben und Verein sowie Geselligkeit zu leben, in Einklang zu bringen, ist die Herausforderung und der Reiz.

»Jeder, egal ob ehren-, neben- oder hauptamtlich tätig, muss sich dem VfB unterordnen. Es darf nicht um persönliche Eitelkeiten gehen«

Sie haben es geschafft, in kürzester Zeit Ruhe in den Verein zu bekommen. Wie lässt sich diese dauerhaft wahren?
Grupp: Entscheidungen, die wir treffen, werden nicht immer bei allen auf Gegenliebe stoßen. Wichtig ist aber, dass wir den Mitgliedern immer offen und ehrlich kommunizieren, wofür wir stehen. Und dass wir auch danach handeln.

Allgaier: Jeder, egal ob ehren-, neben- oder hauptamtlich tätig, muss sich dem VfB unterordnen. Es darf nicht um persönliche Eitelkeiten gehen, sondern darum, was das Bestmögliche für unseren Club ist. Wir werden sicherlich auch mal wieder sportliche Schwächephasen haben. Aber gerade dann zeigt sich die Stärke des Zusammenhalts.

Zum Schluss die Frage: Wo sollte sich der VfB für den steten Fortschritt in den kommenden Jahren sportlich einpendeln?
Allgaier: Wir wollen die positive Entwicklung der vergangenen zwei Jahre fortsetzen und die Voraussetzungen für nachhaltigen sportlichen Erfolg schaffen. Unser Anspruch ist es, europäisch zu spielen. Jetzt blicken wir voller Vorfreude und Spannung nach Berlin.

Grupp: Wir sind, bezogen auf die Mitgliederzahl, der achtgrößte Verein Deutschlands und der 13-größte weltweit, zudem das Stadion sowie das wirtschaftliche Umfeld und die Fans – der VfB ist bereit für die Zukunft. (GEA)