STUTTGART. Wer bisher daran gezweifelt hat, der kann spätestens jetzt fest davon ausgehen, dass es Pierre-Enric Steiger überaus ernst meint mit seiner Bewerbung als Präsident des VfB Stuttgart. In einer Pressekonferenz, die vom eigens dafür bestellten ehemaligen Nachrichtensprecher des SWR, Dieter Fritz, moderiert wurde, präsentierte der vom Vereinsbeirat auserkorene Gegenkandidat von Amtsinhaber Claus Vogt etwas mehr als vier Wochen vor der Mitgliederversammlung am 18. Juli, bei der ein neues Präsidium gewählt wird, fast eine halbe Stunde lang sein »Zukunftspapier für den VfB Stuttgart 1893 e.V.«. Danach stellte sich der 49 Jahre alte, hauptberufliche Präsident der Björn-Steiger-Stiftung aus Winnenden nochmals mehr als doppelt so lang den zahlreichen Fragen der Journalisten.
»Ich glaube, ich kann einige Dinge beisteuern, die den Verein möglicherweise beim einen oder anderen Punkt weiter nach vorn bringen können«, erklärte Steiger und hob in der Folge immer wieder sein wirtschaftlich erfolgreiches Tun hervor. Er ist bestens vorbereitet, scheut im Ringen mit Vogt um das Amt als oberster Roter keine Kosten und Mühen. Auf beachtlichen 17 Seiten hat der ehemalige Geschäftsführer Punkte niedergeschrieben, wie er den Verein für Bewegungsspiele fit für die Zukunft machen will.
Steiger ließ in sein Papier die manigfaltigen Ideen der Abteilungsleiter und Aktiven mit einfließen. Es scheint so, als seien da nicht nur wilde Träume eines emotionalen VfB-Fans niedergeschrieben. Der sehr sachlich und strukturiert erscheinende dreifache Familienvater erklärte, dass so manch kniffliges Ziel bereits vereins-, AG-, aktien- oder auch finanzrechtlich abgeklärt worden sei. »Ich habe hier ein Papier, das so auch umsetzbar ist«, tat der gelernte Bankkaufmann mit einem gewissen Stolz seine Zielsetzungen mit dem VfB kund: »Das möchte ich umsetzen.«
Riesiges Entwicklungspotenzial
Steiger sieht »ein riesiges Potenzial, was es auch über den Fußball hinaus noch zu entwickeln gibt«. Vorrangig geht es ihm um die Erweiterung der Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder – auch innerhalb der AG, um die Verbesserung der sportlichen und wirtschaftlichen Grundlagen innerhalb des Vereins, um die Verbesserung der Nachwuchsgewinnung und der Nachwuchsförderung sowie um die Optimierung der Organisationsstrukturen.
So schwebt dem Präsidentschaftskandidaten unter anderem die Gründung einer Vertreterversammlung vor. Diese solle relativ breit aufgestellt werden, und zwar mit einem Vertreter pro 1 000 Mitgliedern – was aktuell 72 Vertretern entspräche. Schlussendlich solle sich dann das Präsidium bei Entscheidung an das Votum der Vertreter halten.
Steiger will auch mehr Transparenz im Aufsichtsrat schaffen. »Jeder Investor mit einem Anteil von 5,0 Prozent sollte einen Sitz bekommen«, stellte er in den Raum. Weil bei zur Verfügung stehenden 24,9 Prozent AG-Anteilen inklusive des Votums des Hauptsponsors die Stimmenmehrheit aufseiten der Investoren liegen würde, schwebt Steiger eine Aufstockung dieses Gremiums auf zwölf Personen vor.
Der Mann mit glasklaren Visionen ist sich bei seinen Bestrebungen durchaus bewusst, dass die AG der größte Wert für den e.V. ist. Deshalb will er – anders als Vogt – Sportdirektor Sven Mislintat und Vorstand Thomas Hitzlsperger zukünftig »volle Unterstützung und Freiheiten einräumen, um diesen Herren den Spaß an ihrer Arbeit so weit zu geben, dass sie uns noch sehr lange erhalten bleiben«.
Die Zusammenführung und Konzentration der Abteilungen in einem Sportpark links und rechts der Mercedesstraße in den nächsten zehn Jahren, die Steigerung der Mitgliederzahl auf 100 000 in nicht einmal drei Jahren, die Verdoppelung der Einnahmensituation ohne die derzeit ins Auge gefasste Erhöhung der Mitgliederbeiträge binnen zwei Jahren – all das sieht Steiger als umsetzbar. Die im Papier niedergeschrieben Pläne des Anwärters auf den Posten des Cluboberhauptes haben ein Volumen von jährlich 3,4 Millionen Euro. Viel Geld, wenn man in Betracht zieht, dass der e.V. derzeit offenbar rote Zahlen schreibt. Aber zweifellos ist Steiger nicht von irgendwelchen Träumereien getrieben, sondern verfolgt klar formulierte Visionen. (GEA)
MIT PRÄSENZ IM STADION
Der VfB darf seine Mitgliederversammlung am 18. Juli (11 Uhr) trotz Corona-Pandemie als Präsenzveranstaltung abhalten. Wie der Verein bekannt gab, sei das geplante Event auf der Haupttribüne der Mercedes-Benz-Arena als Modellprojekt des Landes Baden-Württemberg beantragt und genehmigt worden. Es sollen dabei »Erfahrungen für Veranstaltungen in ähnlicher Form und Größe gesammelt« werden, so der aktuelle VfB-Präsident Claus Vogt in der Clubmitteilung. Das Projekt werde wissenschaftlich begleitet und vom VfB finanziert. (wil)