STUTTGART. Wie von allen guten Geistern verlassen, sprintete Sebastian Hoeneß mit dem Schlusspfiff auf den Rasen in der MHP-Arena. Erst klatschte der 42-Jährige voller Stolz und Freude seine entkräfteten Spieler ab und zog danach direkt weiter vor die stimmgewaltige Cannstatter Kurve. Dort ballte er beide Fäuste und ruderte wild mit seinen Armen in Richtung der VfB-Ultras. Ein ohrenbetäubender Jubel war die Antwort der über 8.100 Stehplätze umfassenden Fankurve. Solch einen emotionalen Ausbruch sieht man beim 42-Jährigen praktisch nie. Wenn man so mag: Hoeneß mutierte für wenige Sekunden zum Jürgen Klopp des VfB. Es war ein 1:0-Erfolg gegen den FC Augsburg im Viertelfinale des DFB-Pokals, der ihm scheinbar die Welt bedeutete.
War es etwa der Druck und Ballast, der von Hoeneß nach zuvor drei Niederlagen nach dieser komplizierten Begegnung abfiel? Gut möglich. Wobei der Coach des Vizemeisters Dinge wie Positiv-Entwicklungen oder eben Negativserien stets in den richtigen Kontext zu setzen weiß. Dennoch sagte auch er nach der Partie: »Es war klar zu erkennen, dass für beide Mannschaften viel auf dem Spiel steht.« Das Brot-und-Buttergeschäft ist nach wie vor die Bundesliga. Doch auch Hoeneß, was er natürlich nie zugeben würde, wusste genau: Es wäre jammerschade und ein herber Stimmungsdämpfer gewesen, wenn die Reise des VfB in der Runde der letzten Acht des Pokal-Wettbewerbs gegen den FC Augsburg, der grauen Maus in der Bundesliga, in der bis zuletzt heimischen MHP-Arena-Festung zu Ende geht. Schließlich ist der DFB-Pokal, zwei Euro ins Phrasenschwein, bekanntlich der kürzeste Weg zu einem Titel. Daraus machte Hoeneß keinen Hehl: »Wir wollen nach Berlin. Das ist ein überragendes Ziel, das wir jetzt haben.«
Die Stimmung hat sich in Bad Cannstatt plötzlich um 180-Grad gedreht
Die Stimmung hat sich durch den Halbfinal-Einzug in Bad Cannstatt plötzlich um 180-Grad gedreht, der jüngste Negativ-Trend ist fürs Erste gestoppt. Auch wenn es spielerisch kein Feuerwerk war, das der Trainer übrigens auch »überhaupt nicht erwartet hat«. Wobei das mit der gestiegenen Erwartungshaltung an die Schönheit des eigenen Spiels sowieso inzwischen zu einer festen Begleiterscheinung geworden ist. Die Leistungen und eben jene Fußball-Feuerwerke aus der vergangenen Spielzeit haben alle noch vor Augen. Das ist menschlich. Es ist wie ein Spiegelbild, vor dem die diesjährige Mannschaft nicht weglaufen kann. Das macht den »Neustart« in dieser Saison aber nicht unbedingt einfacher. Fakt ist jedoch: Mehr als zwei Schüsse aufs Tor in 90 Minuten wie nun gegen Augsburg dürfen es schon sein.
»Ich weiß«, mutmaßte Hoeneß, »da draußen wird es wieder Leute geben, die nun sagen: Schöner spielen.« Aber: »Nein, nein, nicht in diesem Spiel! Da gehts einfach nur darum, eine Runde weiterzukommen.« Man habe so agiert, wie man es in einem K.o.-Spiel machen müsse. Damit hat der 42-Jährige recht. Die fehlende Durchschlagskraft in der Offensive wurde jetzt ausreichend beleuchtet. Gleichzeitig kommt dabei zu kurz, wie hoch konzentriert und entschlossen der VfB alles wegverteidigte und im dritten Spiel seit dem Jahresauftakt hinten die Null stand. Dass die Augsburger bis auf zwei Chancen ansonsten komplett harmlos blieben, war nicht nur dem Unvermögen der Fuggerstädter geschuldet. Insbesondere Linksverteidiger und Nationalspieler Maximilian Mittelstädt sowie Abwehrboss Jeff Chabot zeigten bei den Stuttgartern eine überragende Leistung in der häufig nicht genug wertgeschätzten Arbeit gegen den Ball. »Das rechne ich der Mannschaft hoch an, vornehmlich in der Endphase. Das war reif«, lobte ihr Coach.
Vielleicht hat der VfB genau diesen Arbeitssieg gebraucht
Vielleicht hat der VfB genau diesen Arbeitssieg gebraucht, um seinen Kompass in der Bundesliga wieder auf Erfolgskurs zu eichen. Am Samstag wartet das brisante Auswärtsspiel beim BVB. Daran wollte Hoeneß am späten Dienstagabend noch keine Gedanken verschwenden. Er wollte lieber für einen kurzen Augenblick den Moment genießen. Und ein kleines bisschen träumen. »Ich möchte mit dieser Mannschaft nach Berlin. Ja, das wäre ein Traum.« Wer mag sich ausmalen, wie die Jubelausbrüche von Sebastian Hoeneß dann aussehen würden, wenn sein Traum Anfang April endgültig in Erfüllung gehen sollte? Vielleicht ja Jürgen Klopp. (GEA)