FRANKFURT. Was hatte Eintracht Frankfurts Cheftrainer Dino Toppmöller am Samstagabend nach der 1:2 (1:1)-Niederlage gegen den VfB Stuttgart im Bundesliga-Topspiel gerade von sich gegeben? Man musste schon zweimal hinhören, um sicherzustellen, dass den eigenen Ohren bei Temperaturen nahe des Gefrierpunkts tatsächlich der richtige Wortlaut überliefert wurde. Man habe, so Toppmöller, gegen »eine Spitzenmannschaft« verloren. »Gegen den stärksten Gegner in der bisherigen Saison«, fuhr der 43-Jährige seine Lobeshymne auf den Gegner fort.
Als dem VfB dieses Attribut zum letzten Mal zugeschrieben wurde, ließ Armin Veh seine jungen Wilden noch im alten Gottlieb-Daimler-Stadion mit Leichtathletik-Laufbahn von der Leine, sorgte Mario Gomez mit seinem aufreizenden Torero-Jubel für Ekstase im selbst ernannten »Bruddler-Land« und reckte die portugiesische Verteidigerkante Fernando Meira die Meisterschale auf dem Schlossplatz in den Stuttgarter Nachthimmel.
Kreuzbandriss bei Rekordspiel
Schiedsrichter Felix Brych hat sich ausgerechnet in seinem Bundesliga-Rekordspiel einen Kreuzbandriss zugezogen. Diese bittere Diagnose ergab eine MRT-Untersuchung nach dem Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart (1:2), bei dem der Referee mit seinem 344. Bundesliga-Einsatz die Bestmarke von Wolfgang Stark egalisierte. Der erfahrene Unparteiische war in der 32. Minute mit seinem rechten Knie weggeknickt. Zwar pfiff Brych mit einem weißen Tape-Verband zunächst weiter, doch in der Pause gab er die Leitung der Partie auf Anraten der Mediziner an den Vierten Offiziellen Patrick Schwengers ab. (dpa)
Völlig egal, wie man es dreht und wendet: Ja es stimmt. Der VfB Stuttgart ist nur ein halbes Jahr nach der Last-Minute-Rettung in der Relegation gegen den Hamburger SV zu einer Spitzenmannschaft in der deutschen Beletage aufgestiegen. Wer einen letzten Beweis dafür gebraucht hätte, den lieferte das Gastspiel vor 58.000 Zuschauern im Deutsche-Bank-Park.
Es war beeindruckend, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Deniz Undav – er bekam den Vorzug vor dem von der Länderspielpause müde zurückgekehrten Serhou Guirassy – kurz vor der Pause nach dem zuvor äußerst unglücklich abgefälschten Eigentor zum 1:1 vom abermals bärenstarken VfB-Abwehrchef Waldemar Anton das Spiel per platziertem Kopfball aus elf Metern wieder zugunsten der Cannstatter drehte.
»Wenn daraus irgendwann ein Anruf des Bundestrainers resultieren sollte, bin ich natürlich überglücklich«
Es war der bis dato erst zweite Stuttgarter Torschuss. Den Ersten hatte ebenfalls Undav im Frankfurter Kasten versenkt – nach nicht einmal 60 gespielten Sekunden. Für den 27 Jahre alten Angreifer war es das siebte Saisontor im neunten Bundesliga-Einsatz. Unfassbar: Er trifft damit alle 68 Minuten. Guirassy steht bei 15 Toren. Ganz egal, wer von beiden auch auf dem Feld steht, längst hat sich beim VfB eine allgemeingültige Faustformel durchgesetzt: Getroffen wird immer.
Dass Undav im kommenden Sommer zur Europameisterschaft fährt, dürfte bereits zum jetzigen Zeitpunkt beschlossene Sache sein. Es geht nur noch um die Frage: Für Deutschland oder die Türkei? Die Leihgabe von Brighton & Hove Albion wurde in Deutschland geboren, seine Eltern stammen aus der Türkei. Er selbst tendiert aktuell zu seinem Geburtsland und sagte nach seinem Doppelpack in Frankfurt mit einem Strahlen im Gesicht: »Ich versuche nur meine Leistung zu bringen. Wenn daraus irgendwann ein Anruf des Bundestrainers resultieren sollte, bin ich natürlich überglücklich.« Es geht längst nicht mehr um das Ob, sondern einzig um das Wann. »Bis zur EM stelle ich mein Handy nicht mehr auf lautlos«, sagte Undav erst vor wenigen Tagen.
» Er entwickelt sich sukzessive immer weiter und macht das von Spiel zu Spiel stabiler«
Mindestens genauso beeindruckend war, wie souverän die Elf von Sebastian Hoeneß die Angriffsbemühungen der in den vergangenen Jahren so extrem heimstarken Eintracht wegverteidigte. So kamen die Hausherren im zweiten Durchgang zu keiner wirklich klaren Torchance. Ein Kunststück, das nur wenigen Gäste-Teams in der jüngeren Vergangenheit im Deutsche-Bank-Park gelungen ist.
Einen grandiosen Job machte Sommerzugang Maximilian Mittelstädt auf der linken Seite. Offensiv stellte er insbesondere im beeindruckenden Aufbauspiel – fast jeder Ball wurde bewusst flach von hinten raus gespielt – seine fußballerischen Qualitäten unter Beweis, leitete das 1:0 nach nicht einmal 60 Sekunden ein und lieferte mit seiner Flanke die Vorarbeit zum 2:1. »Maxi ist extrem ruhig und abgeklärt geworden. Er entwickelt sich sukzessive immer weiter und macht das von Spiel zu Spiel stabiler«, lobte VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth.
» Eine Saison ist lange, es macht keinen Sinn, zu weit nach vorn zu schauen«
Und doch üben sich der 44-Jährige und seine Mitstreiter weiter in den branchengängigen Phrasen à la »wir wollen weiterhin eine sorgenfreie Saison spielen« (O-Ton Wohlgemuth). Trainer Hoeneß sprach zwar ohne konkrete Nachfrage von »einer reifen Leistung«, hielt den Ball direkt im Anschluss aber lieber flach: »Wir reden nicht über Europa, sondern über Prozesse, Trainingsinhalte. Eine Saison ist lange, es macht keinen Sinn, zu weit nach vorn zu schauen.«
Doch ab welchem Punkt macht man sich damit unglaubwürdig? Nach einem Drittel der Saison ist es durchaus legitim, noch mit der angezogenen Handbremse im öffentlichen Auftreten zu agieren. Doch was, wenn der VfB auch noch zum Jahreswechsel unter den Top drei steht? Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, um klare Kante zu zeigen: Wir wollen nach Europa! Denn klar ist: Der VfB Stuttgart mischt völlig zurecht dort oben mit und ist ein ernstzunehmender Champions League-Anwärter. (GEA)