STUTTGART. Selten ist beim VfB Stuttgart eine eindrucksvollere Rede gehalten worden. Mit Verve, Engagement, Empathie, mit körperlichem Einsatz, frei, ohne Manuskript, auch bei einem Fußballclub die Zitierung von Albert Camus nicht scheuend, großartig, aber am Ende reichte es für Osiander-Chef Christian Riethmüller trotzdem nicht. 1 029 Stimmen waren unerwartet viel für den Außenseiter und erfolgreichen Buchhändler, aber auf den Favoriten Claus Vogt entfielen am Ende 1 327 Stimmen. Der neue Präsident sollte ein Netzwerker sein, ein Funktionär, und kein Freigeist. Dabei wäre das vielleicht die größte Chance für eine wirkliche Erneuerung beim Zweitligisten gewesen.
Ob mit der Wahl des neuen Präsidenten für zunächst nur zehn Monate die Weichen wirklich auf Zukunft gestellt worden sind, steht dahin. Der Unternehmer sprach nach dem Buchhändler. Und kam nur schwer auf Touren, endete aber mit einem kraftvollen Bekenntnis gegen Frauenfeindlichkeit, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus (»Das wird alles mit mir nicht gehen, lassen Sie uns heute eine neue Bewegung in den Verein für Bewegungsspiele bringen«).
Riethmüller wird gefeiert
Riethmüller argumentierte zuvor für die Reform, »für die größtmögliche Transparenz, aus der Glaubwürdigkeit und Vertrauen entsteht«. Er habe den Wahlkampf in seiner öffentlichen Wirkung unterschätzt, nie mehr werde er Facebook-Kommentare schreiben. Und dann sagte er noch: »Gleich, wer das Rennen von uns beiden macht, lassen Sie uns den neuen Präsidenten bedingungslos unterstützen.« Riethmüller wurde am Ende seiner Rede in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle fast gefeiert.
Vogt war das nicht entgangen und er begann sichtlich beeindruckt von dem Auftritt des Tübingers. Aber am Ende bekam der Favorit dann doch noch die Kurve: »Es wäre mir eine Ehre, Präsident des VfB Stuttgart zu sein.« Mit dem Verschießen von »Giftpfeilen« müsse man aufhören: »Nur weil wir in der Zweiten Liga spielen, müssen wir uns doch nicht zweitklassig verhalten. Der Verein muss sich endlich wieder auf seine Stärken besinnen.«
Vor den Bewerbungsreden stand Ex-Profi Thomas Hitzlsperger wie gewohnt im Mittelpunkt. »Wir wollen wieder in die Bundesliga, die Spieler brauchen nicht eure Pfiffe, sie brauchen euer Feuer. Ich habe eine klare Vision. Und diese Vision ist oben. Wir können dabei Geld verlieren, aber nie unser Gesicht.« Als jüngstes von sieben Kindern einer bayerischen Bauernfamilie setzte Hitzlsperger bewusst auf das Familiäre, darauf, dass auch ein Fußballclub eine funktionierende Familie sein muss. Das waren Worte, die die Fangemeinde hören wollte: »Fußball ist ein Wechsel von Frust und Freude, der VfB soll zurück in die Bundesliga, zu seinen Wurzeln. Wir werden weiter in die Zukunft, in die Jugend investieren.«
Seit zwei Monaten ist Hitzlsperger Vorstandsvorsitzender. »Der VfB macht es uns nicht leicht, oft machen wir es uns aber auch schwerer als notwendig. Wir sind uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, wir setzen auf nachhaltige Entwicklung. Mein Wunsch ist, dass alle Zahnräder des VfB wieder ineinander greifen, sportliche wie wirtschaftliche. Wir alle sind gemeinsam für den VfB verantwortlich, über den konkreten Spieltag hinaus.« Dem zurückgetretenen Präsidenten Wolfgang Dietrich wurde wie erwartet als Einzigem der alten Führung die Entlastung verweigert.
Auch der Abstieg aus der Bundesliga konnte den Zuwachs an Mitgliedern nicht verhindern. 4 200 Mitglieder kamen nach dem bitteren Gang in die Zweite Liga hinzu und schraubten den aktuellen Mitgliederstand auf 71 700. (GEA)