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Aktuell Kino

Zurück in die Herzen der Fans

Der Film über die Fußball-Europameisterschaft 2024 im eigenen Land sorgt für »90 schöne Wohlfühlminuten«

Die Stimmung der deutschen Fans bei der Fußball-EM im vergangenen Jahr war ausgelassen. Jetzt dürfen sie sich beim Film über das
Die Stimmung der deutschen Fans bei der Fußball-EM im vergangenen Jahr war ausgelassen. Jetzt dürfen sie sich beim Film über das Turnier erneut »wohlfühlen«. FOTO: KAHNERT/DPA
Die Stimmung der deutschen Fans bei der Fußball-EM im vergangenen Jahr war ausgelassen. Jetzt dürfen sie sich beim Film über das Turnier erneut »wohlfühlen«. FOTO: KAHNERT/DPA

GELSENKIRCHEN. Allein schon das Kino. Gebaut 1929, einer der letzten Filmpaläste der Republik, die »Schauburg« an der Horster Straße, klassisch, wunderschön. Wenn man sich vom Hauptbahnhof dem Kino nähert, alles FC Schalke 04, alles blau. Mitten in Gelsenkirchen steht die Schauburg unter Denkmalsschutz, im Senioren-Kino gibt es nach der Vorstellung Kaffee und Kuchen. Gratis.

Heute gibt es aber nicht irgendeinen Klassiker der Filmgeschichte, sondern die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Überall Deutschland-Fahnen und Nationaltrikots. Beim Film von der Europameisterschaft 2024 (»Unser Team«) im eigenen Lande bleibt im großen Saal kaum ein Platz frei. Am Vortag war die Karawane des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem Film in München und in Köln. Ausverkauft – trotz »Aus« im Viertelfinale nach der katastrophalen Fehlentscheidung des englischen Schiedsrichters Anthony Taylor.

In Gelsenkirchen hoffen sie, so scheint es fast, dass das Viertelfinale zumindest im Film gewonnen wird, aber das geht natürlich nicht. Als die Nationalspieler nach dem 1:2 nach Verlängerung gegen den späteren Europameister Spanien mit versteinerten Gesichtern auf dem Rasen der Stuttgarter Arena ins Leere blicken, ist es mucksmäuschenstill im Filmpalast. Vor mir weint ein kleiner Junge mit dem Deutschlandschal um den Hals, die Mama muss ihn trösten. »Wir werden nächstes Jahr Weltmeister«, sagt sie. Richtig glauben will er das noch nicht. Und weint bittere Tränen.

Der neue Kurs kommt an

Andreas Rettig, Geschäftsführer Sport des DFB, versichert vor dem Film: »Ich will nicht lange reden, wir wollen den Film sehen. Schön, dass ihr alle da seid.« Der Mann kommt an bei den Fans, sie glauben, was er sagt. Das war nicht immer so im DFB. Rettig: »Natürlich kann man mit dem Ausscheiden im Viertelfinale nicht zufrieden sein, aber wir wollten den Film trotzdem machen. Wir wollen im DFB einen neuen Stil, wir steuern einen neuen Kurs. Wir wollen nicht an die Geldbeutel der Fans, wir wollen in die Herzen. Mein Eindruck nach dieser Europameisterschaft war, dass wir die ersten erfolgreichen Schritte gemacht haben.« Beifall in Gelsenkirchen.

Die stärksten Momente hat der Film, als es um die Trauerbewältigung geht. Nach der großartigen Vorrunde und dem 2:0 über Dänemark im Achtelfinale war die Niederlage im Viertelfinale gegen Spanien ein Schock. Der in Gelsenkirchen – immer noch eines der Zentren des emotionalen Fußballs, auch wenn 04 momentan in der 2. Liga gegen den Abstieg kämpft – erlebt wird, als hätte man das Spiel selbst verloren. Es dauert, bis sich die ersten Hände zum Beifall regen.

Am Ende ist es vielleicht ein wenig Zuviel, das Dauer-Betonen der neuen Einheit von Volk und Fußballern ermüdet am Ende in wenig, das Schwelgen in Emotionen wirkt in der einen oder anderen Sequenz ein wenig zu dick aufgetragen. Das ändert aber nichts daran, dass es wirklich »90 schöne Wohlfühlminuten« sind, die Regisseur Tom Häussler auf die Leinwand transportiert. Häussler war monatelang mit der Mannschaft unterwegs, er zeigt hautnah den Weg der Formation von Bundestrainer Julian Nagelsmann von den Anfängen im Trainingslager in Thüringen bis zum bitteren Abschied aus dem Mannschaftsquartier in Herzogenaurach.

Das 1:2 gegen Spanien ist am Ende eine weit dramatischere Vorlage als ein möglicher Finalsieg. Die fassungslosen Gesichter der deutschen Kicker bleiben haften. Und was man immer über den Streifen von Häussler sagen will, es ist etwas anderes, diesen Film zu sehen als die Dokumentation »All or nothing« von der Weltmeisterschaft 2022 in Katar, in der sich der damalige Bundestrainer Hansi Flick mit seinen Sätzen selbst auseinandernahm.

Eine intakte Mannschaft

Was der aktuelle Film letztendlich zeigt, ist eine Mannschaft mit einem intakten Innenleben, das konnte jeder spüren, der bei der Europameisterschaft mit der Truppe von Nagelsmann zu tun hatte. Und auch wenn der jüngste Bundestrainer aller Zeiten gelegentlich ein wenig überheblich, um nicht zu sagen: arrogant, herüberkommt, sind seine Ansprachen in der Kabine eindrucksvoll. »Endlich wieder einer, der das Wir betont und nicht das Ich«, sagt Andreas Rettig. Irgendwo ist das auch richtig. Und die Spieler kommen, wie man so sagt, »gut rüber«, nette Millionarios, die am Ende eben das sind, was sie sind: Fußballspieler, die gewinnen wollen. Und die traurig sind, völlig fertig gar, wenn sie verlieren.

Der Fehler von Taylor nach dem Handspiel von Marc Cuccurella vom FC Chelsea im spanischen Strafraum, der einen Elfmeter zur Folge haben musste, motivierte die Europäische Fußball-Union Uefa nach Monaten zumindest zur Feststellung, dass dies ganz offensichtlich ein Fehler war. Die Uefa leistete Abbitte, aber das machte es ja nicht mehr ungeschehen. Dieser Film ist weniger journalistisch, schon gar kein Kunstwerk, aber es ist ein Film, der Eindruck hinterlässt. Und das nicht nur deshalb, weil Häussler zeigt, wie die Mannschaft von Nagelsmann im Sommer im Frauenknast, im Konzert- und Krankenhaus oder auf dem Kreuzfahrtschiff zur Kenntnis genommen wird, wenn Länderspiele im Fernsehen zu besichtigen sind. Die Leute sind wieder beim Team, da bedeutet die Nationalmannschaft wieder etwas, da denkt man automatisch wieder an alte erfolgreiche Zeiten als Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Günter Netzer, Lothar Matthäus und all die anderen Größen den deutschen Fußball bestimmten, die Spiele der Nationalmannschaft Feiertage waren.

Einer sagt am Ende im Foyer des Gelsenkirchener Filmpalastes: »Die Stimmung in der Nationalmannschaft ist endlich wieder so wie bei uns in der Kreisliga in Oberhausen, es geht um das Spiel, um den Ball, um Tore, und darum, dass eine Mannschaft zusammenpasst, dass etwas funktioniert.« Wenn der Film das gezeigt hat, ist viel geschafft. Andreas Rettig ist zufrieden. (GEA)