STUTTGART. Das Tennis-Märchen des deutschen Talents Justin Engel geht in Stuttgart weiter. Mit einer beeindruckenden Leistung setzt sich der 17 Jahre junge Nürnberger gegen den klar favorisierten Alex Michelsen mit 6:4 und 6:4 durch und unterstreicht einmal mehr sein riesiges Potenzial.
»Ich habe heute fast keine Fehler gemacht und bin stolz auf meine Leistung«, sagt er, nachdem er seinen Erfolg im Achtelfinale gemeinsam mit dem Publikum gefeiert hatte. Dem war nicht viel hinzuzufügen. Die Nummer 281 der Welt ließ in der Partie gegen den 20-jährigen US-Amerikaner, der auf Position 35 notiert wird, Zweifel am Ranking aufkommen. Denn von Beginn an hatte nur einer das Sagen auf dem Rasen: Engel.
»Ich war sehr nervös am Anfang«
Zweimal breakte der Schützling von Trainer Philipp Kohlschreiber seinen Widersacher früh. Zweimal überzeugte er danach mit schnellem und schnörkellosem Tennis. »Ich war sehr nervös am Anfang«, berichtet er. Allerdings war davon auf dem Center Court rein gar nichts zu sehen. Weder feierte sich der Youngster nach starken Punktegewinnen, noch haderte er nach Fehlern, von denen es wenige gab. »Ich war irgendwie total im Tunnel und habe mich einfach darauf konzentriert, was der Kohli (Trainer Kohlschreiber) vor dem Match gesagt hat.« Seine mentale Stärke sieht er selbst als Trumpf: »Ich will auch wie Rafael Nadal sein. Nie aufgeben, immer das Beste zeigen. Einfach immer positiv bleiben.«
Im Vergleich zum Erstrundenmatch war es ein weiterer Leistungssprung Engels, der das erste Mal überhaupt gegen einen Top 50-Spieler gewann: Ein starkes Spiel von der Grundlinie, kraftvolle Returns und vor allem sein Aufschlag ebneten den Weg zum Triumph.
»Es ist natürlich schön zu hören, dass ich da vorne dabei bin bei solchen Statistiken«
Engel befindet sich weiter auf der Überholspur. In die Vorsaison startete das Talent, das früher lieber kickboxte, auf Weltranglistenplatz 1.344. Nach Stuttgart reiste er auf Rang 281. In der Live-Liste steht mittlerweile die Nummer 232 vor seinem Namen. Übrigens: Als 17-Jähriger ein ATP-Viertelfinale auf Rasen zu erreichen, schaffte zuletzt Boris Becker in Wimbledon vor 40 Jahren. Dazu ist Engel nach Nadal der jüngste Spieler, der eine Profi-Begegnung auf allen drei Belägen gewann: historisch gute Zahlen. Auf die gibt der 1,85-Meter-Mann allerdings recht wenig. Auf der Pressekonferenz nach der Begegnung zeigte er sich zurückhaltend und bescheiden: »Ich mache einfach mein Ding. Es ist natürlich schön zu hören, dass ich da vorne dabei bin bei solchen Statistiken.« Aber: »Ich will einfach mein Tennis spielen und Spaß haben. Tennis ist mein Leben.« Der Erfolg des Wildcard-Besitzers für Stuttgart ist kein Zufall. Sechs Stunden Training am Tag sind für den Rückhand-Spezialisten ganz normal. Engel würde sogar noch mehr üben, wenn seine Coaches ihn nicht bremsen würden.
Auf dem Gelände des TC Weissenhof wartet im Viertelfinale der frühere Top-Ten-Spieler Félix Auger-Aliassime aus Kanada. Die Analyse überlässt er Kohlschreiber, der in Stuttgart selbst zwei Finals erreichte. »Der regelt das alles«, meint Engel und schmunzelt. Was auf ihn zukommt, ist ihm dennoch klar. »Er ist ein großer Spieler. Ich kann es kaum erwarten.« Egal, was dann passiert: Ein Erfolg ist der Auftritt ohnehin schon. Bei seinem ersten Profi-Rasenturnier schreibt Engel Geschichte. (GEA)