ZHANGJIAKOU. Wenn die Kritik vom Sieger kommt, dann muss etwas dran, dann kann es keine Ausrede sein. »Dieser Ort ist nicht gemacht für Biathlon«, lautete das vernichtende Urteil von Tarjei Bö nach dem Olympiasieg mit der norwegischen Mixed-Staffel. Weil es ein äußerst turbulenter Auftakt im Biathlonstadion von Zhangjiakou war: Die roten, am Schießstand verteilten Fähnchen tanzten am Samstag phasenweise wild im Wind, wie Kuhschwänze auf Koks.
Das war für alle ein kaum beherrschbares Problem, aber vor allem für Vanessa Voigt. Die 24-jährige Olympia-Debütantin – die konstanteste deutsche Schützin – drehte als Startläuferin zwei Strafrunden bei sechs Nachladern, fiel auf Platz 17 zurück, sodass der fünfte Platz des Quartetts mit insgesamt 18 Zusatzschüssen und 1:05,5 Minuten Rückstand als ordentlich bezeichnet werden kann.
»Ich wusste gar nicht mehr, wo ich bin«, sagte Vanessa Voigt über die Situation am Schießstand, die etwas an Simone Greiner-Petter-Memm und ihre fürchterliche Serie in der Staffel bei den Spielen 1994 in Lillehammer erinnerte, die mit 16 Schuss nur vier Treffer gelandet hatte. »So habe ich mir mein Debüt nicht vorgestellt. Es wäre eine Überraschung drin gewesen«, sagte die geknickte, aber nicht am Boden zerstörte Voigt. Ein schwacher Trost: Auch Tiril Eckhoff kreiselte drei Mal, Norwegen (1:06:45,6 Stunden) gewann dennoch knapp vor Frankreich (drei Strafrunden/+0,9 Sekunden) und Russland (+1,5 Sekunden). Norwegens Triumph war vor allem dem Schlussspurt von Johannes Thingnes Bö zu verdanken. Der Superstar durfte aber mit Tiril Eckhoff, Marte Olsbu Röiseland und seinem Bruder Tarjei nur auf Distanz jubeln, weil er Erstkontakt des coronapositiven Kombinierers Jarl Magnus Riiber ist. Das unvollkommene Bild passte zu einem schrägen Rennen. Es könnten zehn nicht weniger verrückte Rennen folgen, im spektakulären Stadion, an einem nicht für Biathlon gemachten Ort. Denn es geht windig weiter, heute (10 Uhr/ZDF) mit dem Einzel der Frauen – einem Wettbewerb, bei dem die Schießleistung entscheidet. Nachteil oder Vorteil Voigt? »Ich muss das jetzt erstmal sacken lassen, dann schaue ich positiv auf das Einzel. Das kriege ich gut in den Griff. Der erste Durchputzer ist jetzt gemacht.« Auch Denise Herrmann, die an Position zwei lief, ist guter Dinge: »Das Laufen war ganz gut, das passt. Ich hatte richtig gutes Material unter den Füßen.« Sie war die Schnellste auf ihrer Runde. Und wenn die Grundpräparierung auf dem extrem kalten, stumpfen Schnee passt, dürfte das in den nächsten zwei Wochen auch so bleiben. Mit Blick auf den Schießstand und die Windfähnchen weiß Denise Herrmann aber: »Es wird ein sehr spezielles Einzel.« In dem neben Voigt und Herrmann auch Vanessa Hinz und Franziska Preuß zum Einsatz kommen.
»Die Kälte lässt die Nervosität ganz schön aufkochen«
Philipp Nawrath bezeichnete den Tag als »besonders, mit einem besonderen Wettkampf«, der für den Schlussläufer »ganz versöhnlich« gelaufen sei. Denn: »Die Kälte lässt die Nervosität ganz schön aufkochen.« Alles fühlt sich in Zhangjiakou anders an als sonst, vor allem die Finger. Was die Arbeit mit dem Gewehr nicht einfacher macht. »Am Schießstand war es alles andere als einfach. Aber ich kann es nicht auf das Schießen schieben«, sagte Benedikt Doll, Vierter im gemixten Bund. »Hier ist der fünfte Platz für umsonst«, sagte er in seiner typischen Art – Schwarzwälder halt. Die kennen sich mit Kühen aus. Aber nicht mit Kuhschwänzen auf Koks. (GEA)