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Vincent Kompany: Von der 1H-Lösung zum Glücksfall?

Auf nationaler Ebene läuft es rund beim FC Bayern München, in der Champions League allerdings ist beim deutschen Fußball-Rekordmeister Sand im Getriebe. Unter dem neuen Trainer Vincent Kompany praktizieren die Münchner einen attraktiven, aber konteranfälligen Spielstil. Eine Analyse.

Seit Saisonbeginn Trainer des FC Bayern München: Vincent Kompany.
Seit Saisonbeginn Trainer des FC Bayern München: Vincent Kompany. Foto: Sven Hoppe
Seit Saisonbeginn Trainer des FC Bayern München: Vincent Kompany.
Foto: Sven Hoppe

REUTLINGEN. 5:0 in Bochum, 4:0 in Mainz, 3:0 gegen Union Berlin - auf nationaler Ebene ist der FC Bayern München spitze. In der Champions League ergibt sich ein anderes Bild: Platz 23 nach drei Spieltagen, der deutsche Fußball-Rekordmeister muss sich mächtig ins Zeug legen, um sich auf direktem Weg für das Achtelfinale zu qualifizieren. Angeleitet wird das Münchner Star-Ensemble seit Beginn dieser Saison von Vincent Kompany. Der 38-Jährige lässt sein Team extrem offensiv und dominant agieren. Mit ihrem bedingungslosen Pressing eilen die Bayern in der Bundesliga von Erfolg zu Erfolg, in der Champions League gab es aber bei den Niederlagen bei Aston Villa (0:1) und beim FC Barcelona (1:4) zwei Nackenschläge. Der GEA analysiert den Saisonstart der Münchner und beleuchtet den Trainer Vincent Kompany.

- Kompanys Weg zum FC Bayern: Die Trainersuche bei den Münchnern glich nach der Bekanntgabe der Trennung von Thomas Tuchel im Februar diesen Jahres einem Endlos-Casting. Xabi Alonso, Julian Nagelsmann, Hansi Flick, Ralf Rangnick, Oliver Glasner, doch wieder Tuchel. Letztlich landete keiner aus diesem erlauchten Kreis auf dem heißen Trainerstuhl des FC Bayern. Am Ende bekam Vincent Kompany den Zuschlag, der deshalb mit dem Makel »1H-Lösung« an den Start gehen musste. Der Neue sprühte von Beginn an vor Tatendrang. Er wolle alle überzeugen »mit meiner Arbeit auf dem Platz«, Bosse, Spieler und Fans, betonte er bei seinem Amtsantritt.

- Kompanys Spielstil: Tore en masse, sehenswerte Kombinationen, ein extrem hohes Pressing, das den Kontrahenten die Luft abschnürt - die Fans sind begeistert vom neuen FC Bayern. Das Team versprüht Spiellaune, nachdem es unter der Regie von Tuchel in der vergangenen Saison zumeist nur um Ergebnis-Fußball ging. Spektakel war bei Tuchel nicht angesagt. Die Kompany-Schützlinge dagegen boten zumeist berauschenden Fußball, aber nie ohne Risiko. In den Begegnungen gegen Villa und Barcelona und auch beim 3:3 in der Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt wurde die Hintermannschaft jeweils auf die gleiche Art und Weise überrumpelt: Mit langen Bällen hinter die Abwehrkette wurden die Bayern überspielt, die pfeilschnellen gegnerischen Angreifer liefen alleine auf das Gehäuse von Torhüter Manuel Neuer zu und kreierten hundertprozentige Chancen.

- Kompany und seine Kompanie: Mit seiner emphatischen Art kommt der neue Übungsleiter extrem gut bei seinen Schützlingen an. Den Profis gefällt die Taktik, sie schätzen das Training und die Ansprache. »Der Weg, den wir gegangen sind, der bringt nicht nur irgendeine tolle Spielweise, sondern einfach Ergebnisse«, stellt Routinier Thomas Müller fest. Und fügt mit Nachdruck hinzu: »Wie dominant wir agieren und wie wenig Schüsse wir zulassen, gerade wenn wir es mit den letzten Jahren vergleichen, dann kann es keine zwei Meinungen geben, dass wir uns auf einem guten Weg befinden.«

- Kompany und der Ex-Boss: Karl-Heinz Rummenigge, langjähriger Münchner Vorstandsboss, spricht davon, dass der FC Bayern unter Kompany »zu einer positiven Kultur zurückgefunden« habe. »Dieses hohe Pressing gefällt mir.« Der Bayern-Fußball sei »wieder attraktiv geworden«. Der neue Coach habe die Spieler mit seiner Art und Weise, wie er spielen lässt, überzeugt. Was Rummenigge besonders freut: Kompany habe einen großen Beitrag geleistet, dass in den ganzen Club wieder Ruhe eingekehrt sei. Rummenigge spricht sogar vom Glücksgriff Kompany. Manchmal helfe einem das Schicksal. »Die zahlreichen Absagen, die Max Eberl zur Kenntnis nehmen musste, haben dazu geführt, dass wir möglicherweise am Ende genau den Trainer bekommen haben, den wir für diese Mannschaft brauchen«, so der 69-Jährige.

- Kompanys Lernprozess: Ex-Nationalspieler Stefan Effenberg, einst auch in Diensten des FC Bayern, hob warnend den Zeigefinger: »Entscheidend, ob du Meister wirst, ist die Defensive. Die Leverkusener wurden vergangene Saison Meister, weil sie nur 24 Gegentore bekommen haben.« Kompany hat seinem Team seine Ideen vermittelt, seinen Schützlinge den neuen Stil übergestülpt, aber die Rückschläge in den Top-Spielen durchaus zur Kenntnis genommen. Und erste Korrekturen vorgenommen. Bei den jüngsten Auftritten auf nationaler Ebene, so berichten Insider des FC Bayern, ließ sich die Mannschaft immer mal wieder ein Stück weit fallen. Das bedingungslose Pressing der ersten Wochen wurde nicht mehr in jeder Situation praktiziert. Zudem wurden die Positionen in der letzten Kette konsequenter gehalten. Im Klartext: Kompany muss für seine Elf bis März nächsten Jahres, wenn die Saison in die entscheidende Phase geht, den goldenen Weg finden, dessen Saison-Endstation Champions-League-Finale dahoam heißen soll.

- Kompanys Lauf-Forderungen: Bei früheren Bayern-Mannschaften lief der Ball wie an der Schnur gezogen durch die Reihen - und der Gegner hinterher. In dieser Saison sind es die Münchner selbst, die laufen. Lediglich Holstein Kiel hat mehr Kilometer als die Münchner gesammelt. Die Laufleistung pro Spiel beträgt in der Bundesliga 119,1 Kilometer, in der vergangenen Saison waren es lediglich 115,3. In der Champions League sind es ähnliche Werte. Den Profis gefällt das, obwohl der Kraftaufwand enorm ist. Die Frage ist aber: Sind die Bayern-Spieler in der Saison-Endphase, wenn es um die Titel geht, noch frisch genug, um das Kompany-System umzusetzen?

- Kompanys Kader: Dayot Upamecano und Min-Jae Kim, das bislang gesetzte Innenverteidiger-Duo, zeigen auf nationaler Ebene bislang gute Leistungen. Dass beide auch international mithalten können, haben sie bei ihren bisherigen Stationen und in ihren Nationalteams bewiesen. Upamecano beispielsweise hat im französischen Nationaltrikot schon viele starke Leistungen abgeliefert. Bei der riskanten Münchner Spielweise steht auch Manuel Neuer besonders im Fokus. Ob der ehemals weltbeste Torhüter noch immer absolute Weltklasse ist, muss er in den großen Spielen unter Beweis stellen. Gegenüber der vergangenen Saison haben die Bayern mit dem Top-Offensivspieler Michael Olise einen Klassemann dazu geholt. Zudem hat sich Serge Gnabry nach vielen Verletzungspausen zurückgemeldet. Das Hauptmanko im Aufgebot: Den Münchnern fehlt ein Rechtsverteidiger mit überdurchschnittlichen Qualitäten. Josip Stanisic und der Ex-Stuttgarter Hiroki Ito sind verletzt und der zurzeit auf dieser Position aufgebotene Raphael Guerreiro fühlt sich als Linksfuß auf der rechten Seite nicht so wohl.

- Kompanys Karriere: Die größte Erfahrung schöpft der 38-Jährige aus seiner Spieler-Karriere, die ihn nach zwei Jahren beim Hamburger SV ab 2008 für elf Jahre zu Manchester City führte. Dort wurde der Verteidiger zum Kapitän von Pep Guardiola. Die taktische Handschrift von Guardiola hat Kompany in seinem Wirken als Übungsleiter stark geprägt. Als Trainer startete Kompany beim RSC Anderlecht, ging dann zum FC Burnley, mit dem er in die Premier League auf- und sofort wieder abstieg. Trainer-Erfahrung bei einem europäischen Top-Club fehlt dem 89-maligen Nationalspieler Belgiens noch. (GEA)