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Video-Schiedsrichter: So anspruchsvoll ist die Arbeit im »Kölner Keller«

Von Selbstversuchen im »Kölner Keller« und höchstem Respekt vor schnellen Entscheidungen

Tor oder nicht Tor? Der Schiedsrichter entscheidet nach dem Studium der Bilder aus dem Kölner Keller.  FOTO: WEBER/EIBNER
Tor oder nicht Tor? Der Schiedsrichter entscheidet nach dem Studium der Bilder aus dem Kölner Keller. FOTO: WEBER/EIBNER
Tor oder nicht Tor? Der Schiedsrichter entscheidet nach dem Studium der Bilder aus dem Kölner Keller. FOTO: WEBER/EIBNER

KÖLN. Nicht ein Bildschirm, sondern fünf Bildschirme, die im Blick zu behalten sind, auf dem Kopfhörer die Schiedsrichter im Stadion, Zehntausende lärmende Fußballfans auf den Tribünen und die bange Frage: War das jetzt Abseits oder nicht? Oder was auch immer für nach Überprüfung schreiende Regelwidrigkeiten? Nur kein Stress, kühlen Kopf bewahren. Leichter gesagt als getan.

Ein Nachmittag im Video-Assist-Center (VAC) im RTL-Gebäude in Köln-Deutz, irgendeiner hat es zuerst geschrieben, seitdem ist es der »Kölner Keller«, der für Aufregung und Proteste sorgt, wenn im Stadion auf eine endgültige Entscheidung gewartet wird. Im Keller heißt das: Erfassen der Situation auf dem Spielfeld, Entscheidung des Schiedsrichters, aber ist die richtig? Prüfen, elektronische Abseitslinien ziehen, Senklot von den für die Entscheidung relevanten Körperteilen des kickenden Personals. Fuß? Oder Schulter? Und vor allem: in schnellstmöglicher Geschwindigkeit.

Ich sitze mit dem Journalistenkollegen vor den Bildschirmen, er fünf, ich fünf, daneben der Operator, der die Zeitlupen, die Naheinstellungen, die Kameraperspektiven, die Blickrichtungen, das Vorher und Nachher der entscheidenden Szenen programmiert und ständig auf Anforderung einblendet. Ohne klare Kommandos geht das nicht. »Das ist doch kein Abseits«, schreie ich. Ich sollte weder schreien – noch solche unsinnigen Behauptungen aufstellen.

»Du solltest jetzt mal entscheiden, ihr diskutiert schon fast zehn Minuten«

Neben mir lacht Knut Kircher, Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB-Schiedsrichter GmbH, und sagt: »Du solltest jetzt irgendwie mal entscheiden, ihr diskutiert jetzt schon fast zehn Minuten.« Echt jetzt? In der wirklichen Welt des Profifußballs warten im Stadion Zehntausende auf eine Entscheidung: Was machen die eigentlich in diesem verdammten Kölner Keller?

Kennt jeder. Man wartet auf der Pressetribüne selbst und versteht die Welt nicht. Nur eine Stunde im Kölner Keller und du weißt nicht, wo dir der Kopf steht. VAR-Chef Jochen Drees sagt: »Nach dem Dienst im Keller brauchst du Stunden, um wieder auf Normalnull zu sein.« Können wir uns jetzt vorstellen. Der Stress ist fühlbar, allgegenwärtig, er nagt an dir, aber du darfst ihm nicht nachgeben.

Knut Kircher, Jochen Drees und Kommunikationsleiter Alex Feuerherdt organisierten die sportjournalistischen Selbstversuche in Köln in Kooperation mit dem Verband Deutscher Sportjournalisten (vds), am Ende stand höchster Respekt vor dem Stress im Keller und der Zusammenarbeit der Schiedsrichter in Köln und in den Stadien der Bundesliga. Insbesondere das Ziehen der kalibrierten Linie bei Abseitspositionen, das Auflösen von Foul- oder Handspielen im Strafraum erfordern nicht nur höchste Konzentration, sondern auch rasches Reaktionsvermögen und vor allem: schnelle Entscheidungen.

Foul oder nicht, Strafstoß oder nicht, Tor oder nicht, Handspiel oder nicht? Die Einschätzungen der Sportjournalisten, sagt Drees, unterscheiden sich dabei nur wenig von denen der Bundesliga-Clubmanager, der Sportdirektoren und der Ex-Profis, die alle schon im Kölner Keller zu Gast gewesen sind. Drees und Kollegen sorgen für absolute Transparenz, keiner will endlose Diskussionen, alle wollen nachvollziehbare Entscheidungen. »Natürlich geht es um richtig und falsch, aber das größte Ziel unserer Arbeit ist Einheitlichkeit«, sagt Kircher. Idealerweise muss die Entscheidung in der Champions League ebenso nachvollziehbar sein wie in der Kreisliga.

Der Ermessensspielraum für die Referees ist dabei größer als viele glauben, der Video Assistant Referee (VAR) greift nur in Fällen ein, die wirkliche Fehlentscheidung darstellen. Kircher: »Immer ist der Schiedsrichter im Stadion Herr des Verfahrens, nur den wollen wir stark machen.« Trotzdem klar, dass die Grauzone groß ist. Drees: »Deshalb müssen wir sie so klein wie möglich halten.« Bundesliga-Referee Robert Schröder kritisiert in Köln die Statements der Schiedsrichter über Stadionmikrofon, die für mehr Transparenz vor Ort sorgen sollen: »Ich sehe den Mehrwert gegenüber der schriftlichen Einblendung auf den Videoschirmen nur sehr begrenzt.« Kircher kündigt an, dass in Zukunft auch an Bewegtbilder zur Unterstreichung der Entscheidungen im Stadion gedacht ist.

Die Tage im Kölner Keller sind im Übrigen endlich. Die Schiedsrichter GmbH wird nach Frankfurt auf den Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) umziehen. Dort werden die technischen Möglichkeiten nochmals erweitert. (GEA)