BOCHUM. Wenn man kaum noch eine Chance hat, sollte man schnellstens versuchen, sie zu nutzen. In Frankfurt beim chancenlosen 2:7 des VfL Bochum hat er noch darüber nachgedacht, ob er sich das noch einmal antun soll, aber die Zweifel waren schnell besiegt. Dieter Hecking will wieder ins Fußballgeschäft, das hat er mehrfach betont, und für einen aus dem Ruhrgebiet ist der VfL genau das Richtige. Hecking kommt aus Castrop-Rauxel, was liegt da näher, als »anne Castroper« seinen nächsten Job anzutreten. Vermutlich der schwierigste, den er jemals angetreten hat.
Hecking ist lange im Geschäft, wie Friedhelm Funkel, der auch nochmal »Ja« sagen würde, wenn man ihn fragt. Es ist die Erfahrung, die für Leute wie Hecking und Funkel spricht. Und ihre Erfolge sprechen für sich. Mit 60 fühlt sich Hecking den Belastungen des Jobs noch gewachsen, kein Zweifel, der Mann, der zuletzt Sportvorstand und Trainer beim 1. FC Nürnberg war, will es nochmal wissen. Und als er den Konferenzraum des Ruhrstadions betritt, merkt man ihm gleich an, dass da eine geballte Portion Motivation in Bochum gelandet ist. Es passt absolut, dass Hecking direkt anpacken will – und nicht erst in der Länderspielpause. Das Spiel gegen den deutschen Meister Bayer Leverkusen mag aussichtslos erscheinen, Hecking kümmert das nicht: »Warum soll man ausgerechnet gegen den Meister keine Chance haben?«
»Wir stehen faktisch bei null Punkten«
Unterschrieben hat der ehemalige Polizeibeamte bis zum Saisonende. Alles Weitere wird sich finden. Hecking ist alles andere als ein Sprücheklopfer, Hecking ist ein Realist, der die Chancen, die er hat, sehr gut einschätzen kann. Warum soll das, was der Kollege Friedhelm Funkel beim 1. FC Kaiserslautern in der 2. Liga geschafft hat, nicht auch von Hecking in der Bundesliga beim VfL Bochum zu schaffen sein? Die Fans in Bochum sind mehrheitlich von Hecking überzeugt.
Lange geredet
Und Ilja Kaenzig ist es auch. Der VfL-Geschäftsführer hat lange mit Hecking geredet, obwohl schnell klar war, dass es nur um Kleinigkeiten ging. Der Entschluss von Hecking stand schnell fest, mit allem, was er hat, legt er sich für den VfL ins Zeug, auch wenn der momentan mit dem Doppelpass wenig Gegner nass macht. Aber das kann wieder werden. Warum nicht schon gegen Bayer Leverkusen?
Momentan, mit einem Punkt, »der gar keiner ist, weil die Tordifferenz 20 beträgt. Wir stehen faktisch bei null Punkten« nach neun Spieltagen, der Klassenerhalt scheint ein Fernziel. Aber war das in der vergangenen Saison anders? Vor dem Rückspiel in der Relegation »hätte ich keine fünf Euro auf den VfL gesetzt«, sagte der neue Trainer des Tabellenletzten mit Blick auf den dramatischen Klassenerhalt gegen den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf im Mai – nach dem 0:3 im ersten Spiel. Jetzt wären die Chancen etwas besser, »vielleicht könnte mein Einsatz sechs Euro« betragen. Humor hatte er schon immer, schaden kann das kaum.
Dann wird Hecking ernst, weil er keiner ist, der das Blaue vom Himmel herunter verspricht. Im Gegenteil. »Es ist eine schwere Aufgabe. Ich weiß nicht, ob wir es gelöst bekommen. Das kann und will ich nicht versprechen. Reden braucht man nicht so viel im Moment, die Situation ist bekannt. Es geht darum, eine Einheit zu werden. Es ist nicht vonnöten, dass wir in Quasselei ausarten«, sagt Hecking. Viel Zeit bis zum Duell mit Bayer bleibt nicht für den Nachfolger des glücklosen Schwaben Peter Zeidler und Interimstrainer Markus Feldhoff. Hecking ist der vierte Trainer in Bochum seit dem Wiederaufstieg 2021.
»Ich hoffe, dass wir das Feuer wieder entfachen«
Heckings Credo: »Ich liebe Herausforderungen, der VfL ist eine mit Sternchen, aber ich bin froh, dass ich direkt einsteigen kann. Bis zur Weihnachtspause sollten wir schon noch ein paar Pünktchen holen, um eine realistische Chance zu haben«, um den drohenden siebten Abstieg aus der Bundesliga zu vermeiden. Hecking ist einer, der auf das Team setzt, das war schon immer so, als er als Ex-Profi ins Trainergeschäft wechselte, den SC Verl und den VfB Lübeck trainierte. Hecking arbeitete bei Alemannia Aachen, dem Hamburger SV, Borussia Mönchengladbach, gewann 2015 mit dem VfL Wolfsburg den DFB-Pokal. »Die große Stärke des VfL war schon immer der Zusammenhalt, ich hoffe, dass wir das Feuer wieder entfachen können. Die Jungs müssen miteinander arbeiten. Die Mannschaft ist gefordert. Wer nicht mitziehen möchte, der kann gerne was anderes machen.« In dieser Hinsicht kennt der Mann kein Pardon, das kannte er noch nie.
»Leidenschaft« will er sehen, Einsatz, »aber auch guten Fußball«. Ohne den geht es in der Bundesliga nicht. 0:5 und 2:7 wie zuletzt sind keine Optionen: »Ich sehe mich nicht als Messias oder Zauberer. Ich bin Dieter Hecking und versuche, mit meiner Erfahrung zu helfen. Es ist Bundesliga, aber jedes Spiel ist ein Pokalspiel. Ausscheiden verboten.« (GEA)