Titisee-Neustadt (dpa) - Zuerst hatten wir kein Glück - und dann kam auch noch Pech dazu. So oder so ähnlich muss Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher gedacht haben, als er die Personallage für sein erstes Jahr beim Deutschen Skiverband (DSV) studiert hat.
Bis Mitte Januar hat sich die Situation nicht verbessert, im Gegenteil: Während Andreas Wellinger beim Skitouring in den Bergen posiert, liegt Markus Eisenbichler auf der heimischen Couch. Severin Freund und Richard Freitag? Die müssen mit dem Auto auf halber Strecke nach Predazzo umkehren, weil dort wegen mangelnden Schnees doch nicht trainiert werden kann.
Der Heim-Weltcup in Titisee-Neustadt an diesem Wochenende muss ohne die glorreichen Vier auskommen. Wellinger absolviert nach einem Kreuzbandriss die Reha, Eisenbichler pausiert, nachdem er sich bei einem Sturz auf einer Eisplatte vor seinem Auto das Handgelenk lädiert hat. Freitag und Freund wären körperlich fit, sind nach Formschwäche und Verletzung aber nicht weit genug für einen Einsatz.
Horngacher versucht, die positiven Aspekte der riesigen Misere zu sehen. »Es gibt immer Chancen für die jungen Leute. Das ist wichtig für unser System, dass wir Wechsel drin haben und zeigen können, dass wir nicht nur Spitzenleute haben«, sagte der Tiroler der Deutschen Presse-Agentur.
Das Schanzen-Quartett, das derzeit hervorragend vom Gesamtführenden Karl Geiger vertreten wird, hat das deutsche Skispringen nicht nur über ein Jahrzehnt geprägt, sondern dafür gesorgt, dass es zwischen Oslo 2011 und Seefeld 2019 Medaillen bei jedem Großereignis gab. Würden Freund, Freitag, Eisenbichler und Wellinger all ihre Errungenschaften zusammenlegen, käme man auf 34 Weltcup-Einzelsiege und 24 Medaillen bei Olympia und Nordischen Ski-Weltmeisterschaften. Nur: Werden sie jemals wieder alle gemeinsam an den Start gehen?
Neue Gesichter bestimmen - zumindest vorübergehend - das Bild des deutschen Skispringes: Die Fans müssen sich an die Talente Luca Roth und Philipp Raimund gewöhnen, während die Stars nicht dabei sind. Zumindest beim dreifachen Seefeld-Weltmeister Eisenbichler (nächste Woche in Zakopane) und bei Olympiasieger Wellinger (ab dem kommenden Winter) scheint eine Rückkehr absehbar.
Bei Freitag und Freund liegt der Fall schwieriger. Der 28 Jahre alte Sachse Freitag war in diesem Winter schon beim Weltcup dabei. Doch die Formkurve zeigte Woche für Woche nach unten, bis er in Oberstdorf sogar die Qualifikation für die besten 50 verpasste - und von Coach Horngacher zum Trainieren geschickt wurde. »Wir haben ihn ganz rausgenommen, weil es einfach keinen Sinn macht, wenn man in einem Trainingsprozess ist«, sagte Horngacher.
Freitag sei »noch nicht bereit für Wettkämpfe«. Zuletzt hatte der Gesamtzweite von 2018 darüber geklagt, nicht mit beiden Beinen gleichzeitig abzuspringen. Seit einem Sturz in Innsbruck, als er vor zwei Jahren im Gelben Trikot am Bergisel alle Tournee-Hoffnungen verlor, scheint Freitag auch immer wieder mit mentalen Problemen zu kämpfen. Den Winter beendete er damals noch ordentlich, danach ging es sportlich so bergab, dass eine Rückkehr in die Weltspitze derzeit kaum noch vorstellbar ist.
Auch beim ehemaligen Vorzeigeadler Freund fällt der Glaube daran schwer. Zwei Kreuzbandrisse, eine Meniskus-OP und Rückenprobleme machten dem 31-Jährigen zu schaffen, doch »Sevi« will nicht aufgeben. Seit dieser Woche trainiert er in seiner Heimat Rastbüchl auf einer 70-Meter-Schanze, um wieder den Anschluss zu finden. »Bei ihm kann es ganz schnell gehen«, sagte Horngacher. »Es kann aber auch länger dauern.«
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