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Turbulenzen aus Tradition

Ein weiteres Jahr in der 2. Liga würde vielen Vereinen schwer zu schaffen machen. Wer besonders betroffen ist

Muss nach nur vier Monaten wieder gehen: Hannover-Coach André Breitenreiter.  FOTO: DPA
Muss nach nur vier Monaten wieder gehen: Hannover-Coach André Breitenreiter. FOTO: DPA
Muss nach nur vier Monaten wieder gehen: Hannover-Coach André Breitenreiter. FOTO: DPA

HANNOVER. Fast jeder Siebtklässler nutzt heute lieber die Rechnerfunktion seines Smartphones für Matheaufgaben als den von der Schule bestellten Taschenrechner. Auch André Breitenreiter hat letzteren am Osterwochenende für »überflüssig« erklärt, was beim Trainer von Hannover 96 jedoch andere Gründe hat: Da ist es einer leid, jede Woche aufs Neue vorher etwas auszurechnen, wenn nachher das Ergebnis nicht stimmt. »Die Liga ist verrückt. Man weiß nie, wie die Spiele ausgehen.« Verrückt ist es zwar nicht, ein Paukenschlag war es allerdings schon, dass die Niedersachsen Breitenreiter nach drei sieglosen Spielen am Mittwochmittag nach nur vier Monaten Zusammenarbeit von seinem Traineraufgaben freistellten.

Der bisherige Co-Trainer Lars Barlemann, U 19-Coach Dirk Lottner und U 17-Trainer Christian Schulz werden die Mannschaft in den vier verbleibenden Saisonspielen betreuen. Wer danach Chefcoach bei den Niedersachsen wird, ist noch offen. Als Kandidaten gelten Club-Legende Steven Cherundolo und Lukas Kwasniok, der am Ende der Saison den SC Paderborn verlässt.

Das ändert nichts an der Ausgangslage. In der Hinrunde zeitweise Tabellenführer, liegt der Dritte 1. FC Magdeburg jetzt sechs Zähler entfernt. Die Niedersachsen bleiben sehr wahrscheinlich im siebten Jahr in Folge zweitklassig. Es war von vornherein klar, dass aus dieser Liga mit neun Bundesliga-Gründungsmitgliedern einige renommierte Marken wieder das Nachsehen haben. Die Trennung von Stefan Leitl, der eigentlich im Zuge eines Dreijahresplanes in dieser Saison hätte aufsteigen sollen, wirkt bei den Roten im Nachhinein diskutabel.

Anflüge von Resignation

Routiniers wie Marcel Halstenberg oder Ron-Robert Zieler verrieten beim SV Darmstadt 98 (1:3) mit ihrer Körpersprache Anflüge von Resignation. Zwei ehemalige Nationalspieler waren eigentlich an den Maschsee zurückgekommen, um im Spätherbst der Karriere noch mal etwas Erhebendes zu erleben. Vieles spricht an der Leine auch nach der erneuten Trainer-Entlassung nun für eine Neuausrichtung. U 21-Nationalstürmer Nicolo Tresoldi steht schon jetzt auf der Wunschliste mehrerer Bundesligisten. Denn wer nicht aufsteigt, verliert meist seine Leistungsträger. Ein Teufelskreis, den der 1. FC Nürnberg zur Genüge kennt. Ein Verein, der sich mal Rekordmeister nannte, weil immerhin neunmal am Valznerweiher die beste Mannschaft Deutschlands kickte, ist zum Ausbildungsbetrieb mutiert. Anders würde der Club gar nicht mehr im Profifußball überleben. Bis zum 30. Spieltag hatten die von Miroslav Klose angeleiteten Jungspunde noch heimlich gehofft. Nun ist auch im Frankenland die Ernüchterung eingekehrt.

Ausgerechnet bei der beeindruckenden Choreografie zum 125-jährigen Bestehen setzte es im Max-Morlock-Stadion eine Heimpleite gegen den SC Paderborn (2:3). Schmerzlich musste Weltmeister Klose mit ansehen, wie sein Team ohne den verletzten Torjäger Stefanos Tzimas und den mit einer Knieverletzung ausgeschiedenen U 21-Nationalspieler Jens Castrop völlig den Faden verlor. Tzimas spielt ab Sommer für Brighton & Hove Albion in der Premier League, Castrop für Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga, wo der im Winter transferierte Finn Jeltsch mit dem VfB Stuttgart schon jetzt angekommen ist. Wie der 1. FC Nürnberg da hinkommen soll, ist ein Rätsel. Das begrenzte Budget ist nicht nur hier ein Handicap.

Auch in der Hauptstadt rauchen die Köpfe, damit aus Hertha BSC trotz aller finanziellen Zwänge wieder ein Bundesligist wird. Dafür haben sie den »Berliner Weg« ausgerufen, den ausgerechnet ein Urgestein nicht mehr mitgeht. Andreas »Zecke« Neuendorf hat sein Direktoren-Amt niedergelegt. Eine Personalie, die nur der Anfang eines Bebens sein könnte, an deren Ende die Verpflichtung von Jonas Boldt als neuer starker Mann an der Spree steht. Denn bei Neuendorf, so berichtet das Fachmagazin Kicker, sollen handfeste Interessenskonflikte bestanden haben, weil sein Sohn an einer Berateragentur beteiligt ist.

Es wird schwer für die Alte Dame

Unbestritten hat Neuendorf überhaupt dafür gesorgt hat, dass Fabian Reese in der Hauptstadt blieb, wo nun der Überraschungsdritte Magdeburg (Freitag 18.30 Uhr) vorspielt. Der mit Abstand beste Spieler hat mit acht Toren in sechs Spielen fast im Alleingang die Hertha zuletzt über Wasser gehalten. Nun sollen mehrere Bundesligisten um Reese buhlen. Ohne die Identifikationsfigur wird es allerdings für die Alte Dame noch schwieriger, sich in erstklassige Gewänder zu hüllen.

In einem ähnlichen Dilemma agiert auch der FC Schalke 04. Wieder ist es eine Saison zum Vergessen in Gelsenkirchen, wo die fußballerischen Vorträge fast noch grauer als manche Stadtteile wirkten. Das ständige Chaos ist Teil der königsblauen Folklore, die dieser Verein immer wieder bietet. Dass der Niederländer Kees van Wonderen seinen Vorstandsvorsitzenden Matthias Tillmann anzählte – diesen Mut muss ein Clubangestellter erstmal aufbringen. Der Verein reagierte zunächst mit einer Gegendarstellung und gab am Mittwoch nun bekannt, dass die Zusammenarbeit mit dem holländischen Coach nach der Saison beendet wird.

Auch wegen der ständigen Wechsel auf Führungspositionen spielen diese Traditionsvereine ja nicht mehr in der Bundesliga. Und packen eine Klasse darunter vier Spieltage vor Schluss schon die Taschenrechner weg. Weil ihre Erfolgsformel nicht aufgegangen ist. (GEA)