KÖLN. Murat Yakin hat alles richtig gemacht. Einmal mehr. Beim 3:1 gegen Ungarn blieb Xherdan Shaqiri 90 Minuten auf der Reservebank, gegen Schottland entschied sich Yakin für Shaqiri in der Startformation. »Shaqiri ist ein Mann für besondere Momente, ich weiß, er lebt für diese Momente«, sagt der Schweizer Nationaltrainer nach dem turbulenten 1:1 (1:1) im zweiten Gruppenspiel in Köln.
Manuel Akanji, Schweizer Abwehrchef von Manchester City: »Ich weiß nicht, ob ein anderer von uns überhaupt so ein Tor schießen kann.« Ausgangspunkt war ein Fehlpass von Anthony Ralston in der eigenen Spielhälfte, Shaqiri erfasst die Situation in der 26. Minute am schnellsten und jagt den Ball mit dem linken Fuß entschlossen und unhaltbar für Torwart Angus Gunn in den oberen linken Torwinkel. Ein Traumtor aus dem Nichts eines Mannes, der zwei Jahre nach seinem Wechsel in die US-Profiliga zu Chicago Fire in Europa fast in Vergessenheit geraten ist. Das Tor war der Höhepunkt eines intensiven Spiels vor ausverkauftem Haus, aber es war nicht nur intensiv, es war das lauteste der EM, als Schottland in der 13. Minute durch einen abgefälschten Manchester Uniteds Scott McTominay in Führung ging.
»Ich glaube, das ist nicht das erste Mal, dass ich ein so schönes Tor geschossen habe«
Schottland kämpfte in Köln ums Überleben im Turnier. »Wir haben nach dem Horrorabend gegen die deutsche Mannschaft eine Reaktion gezeigt, die Mannschaft hat dem Land den Stolz zurückgegeben.« Trainer Steve Clarke, als Profi hatte er 1998 mit dem FC Chelsea den Europapokal der Pokalsieger gegen den VfB Stuttgart gewonnen, reagierte fast ergriffen: »Meine Mannschaft hat gespielt, wie ich mir das vorgestellt habe. Das ist der wahre schottische Fußball, aufregend und stressig für mich, aber ich habe immer gewusst, wozu meine Leute in der Lage sind.« Zu Shaqiri fiel Clarke ein: »Tony macht einen Fehler, klar, aber ohne Shaqiri wäre das Tor keines geworden. Das sagt alles über seine Klasse.« Mit seinem Treffer avancierte der Schweizer zum ersten europäischen Profi, der bei allen sechs Fußballturnieren seit der Weltmeisterschaft 2014 ein Tor erzielte. Aber daran dachte er nicht. Er nannte es nachher »ein Risiko«: »Aber das hat perfekt gepasst da oben links. Ein schönes Gefühl, ich genieße jedes Tor für die Schweiz, es macht mich stolz, das bleibt in Erinnerung.«
Ob er, 32 Jahre alt, 2026 noch eine Weltmeisterschaft spielt? »Das ist weit weg, mein Freund, darüber denke ich nicht nach.« Aber es tat Shaqiri sichtbar gut, im Mittelpunkt zu stehen, in Europa nochmals auf sich aufmerksam zu machen. »Was das Tor bedeutet? Ich glaube, das ist nicht das erste Mal, dass ich ein so schönes Tor geschossen habe.« Shaqiri lacht. Seit Anfang 2022 steht er in der Major League Soccer unter Vertrag, gewechselt über den FC Bayern, Inter Mailand, Stoke City, den FC Liverpool und Olympique Lyon, sein Traumtor zerstörte die Hoffnung der Schotten auf einen Sieg. Vor 28 Jahren gewannen sie zuletzt ein Spiel bei einer Europameisterschaft, 1996 in England – mit 1:0 gegen die Schweiz.
Schotten wie Schweizer hatten schon den ganzen Tag die Szene in Köln bestimmt, bei der schottischen Hymne Flower of Scotland erzitterte das Rhein-Energie-Stadion, eine fast schon unwirkliche Atmosphäre. (GEA)