London (dpa) - WM-Vierter gegen Vize-Weltmeister, Harry Kane gegen Luka Modric, Titelkandidat gegen Geheimfavorit - England und Kroatien treffen sich am Sonntag (15.00 Uhr/ARD und Magenta TV) im Fußball-Tempel Wembley zum ersten Topspiel dieser Europameisterschaft.
Beide Mannschaften starten mit unterschiedlichen Voraussetzungen ins Turnier. In den sportlichen Reiz der Neuauflage des WM-Halbfinales mischt sich die kontrovers diskutierte Geste zu einem gesellschaftspolitischen Thema.
KNIEFALL:Captain Kane und seine Mitspieler werden es auch kurz vor dem Anpfiff gegen die Kroaten wieder tun: knieend ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Wie bereits vor ihren Testspielen gegen Österreich und Rumänien werden Englands Spieler für wenige Sekunden mit einem Knie auf den Boden gehen, obwohl auch im Wembley-Stadion wieder Buhrufe einiger der 22 500 Zuschauer kommen dürften. »Aber wir lassen uns nicht aufhalten«, sagte Verteidiger Luke Shaw zuletzt. Nationaltrainer Gareth Southgate äußerte sich enttäuscht von den Buhrufen. Die Diskussionen um die Geste trüben ein wenig die EM-Stimmung im Land.
Die kroatischen Spieler entschieden laut Verbandsangaben, nicht als Mannschaft diese Geste zu zeigen. Man wolle sich währenddessen respektvoll stehend präsentieren, hieß es.
AUSGANGSLAGE: So groß war die Chance auf einen Titel seit dem WM-Triumph 1966 wohl nicht mehr. Englands Kader ist gerade offensiv exzellent besetzt. Torjäger Kane wird flankiert von hochveranlagten Profis wie Phil Foden, Jadon Sancho, Raheem Sterling oder Marcus Rashford. Zudem könnten die Three Lions beim paneuropäischen Turnier bis zu sechs Heimspiele inklusive Finale in Wembley absolvieren. Wann also, wenn nicht jetzt?
Drei Jahre nach dem WM-Coup will sich Kroatien trotz des einen oder anderen Stimmungsdämpfers und Rücktritts von routinierten Spielern wieder als Turniermannschaft präsentieren. Der 2:1-Sieg nach Verlängerung im Halbfinale damals gegen England spielt für Mateo Kovacic vom FC Chelsea keine Rolle mehr. »Das ist drei Jahre her, es ist ein neuer Wettbewerb, ein neues Spiel«, sagte der 27-Jährige. Das erste Spiel des Turniers habe besondere Bedeutung und könne viel Schwung für die kommenden Aufgaben bringen. Weitere Gruppengegner für beide sind Schottland und Tschechien.
ENGLANDS TOPSTAR: Ende Juli wird Harry Kane 28 Jahre alt, einen großen Titel hat der Stürmerstar der Tottenham Hotspur in seiner Karriere bislang noch nicht gewonnen. Auch deshalb liebäugelt er mit einem Abschied von den Spurs nach der EM. Vorher peilt er mit den Engländern den EM-Sieg an. Southgates Team braucht Kanes Tore, um Großes zu erreichen. »Natürlich willst du Pokale gewinnen, aber die Dinge können sich gegen dich verschwören, so wie bei Harry Kane«, sagte Ex-Nationalspieler Gary Lineker dem Internetportal »The Athletic«. Was Lineker meint: Kane hat mit den Spurs bereits alles probiert, scheiterte aber oft kurz vor dem Ziel.
Vor Kroatiens Keeper Dominik Livakovic sollte Kane dabei gewarnt sein. Im Europa-League-Achtelfinale gegen Dinamo Zagreb traf Kane für Tottenham im Hinspiel zwar zweimal, im Rückspiel konnte er den 26-Jährigen beim 0:3 nicht überwinden. »Meine Erfahrung mit englischen Teams ist gut und ich hoffe, dass das so weitergeht«, sagte Livakovic.
KROATIENS TOPSTAR: Die WM 2018 war das Turnier von Luka Modric. Der Mittelfeldstar von Real Madrid führte sein Team mit Glanzleistungen ins Finale, wurde später auch zum Weltfußballer gekürt. Mit nun 35 Jahren ist Modric immer noch Kopf der Mannschaft, alle orientieren sich an ihm. Womöglich spielt Modric sein letztes Turnier. »Er ist für mich noch immer einer der besten Spieler der Welt. Er ist ein unglaublicher Spieler«, sagte Hoffenheims Stürmer Andrej Kramaric der Deutschen Presse-Agentur.
STATISTIK: England nimmt zum zehnten Mal an einer EM-Endrunde teil, Kroatien ist zum sechsten Mal dabei. Kurios ist die Auftaktbilanz: Die Engländer konnten noch nie am ersten Spieltag gewinnen, die Kroaten sind zum Start noch ungeschlagen - zuletzt gab es sogar drei Siege.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
ENGLAND: 1 Pickford - 2 Walker, 5 Stones, 15 Mings, 21 Chilwell - 8 Henderson, 4 Rice, 19 Mount - 17 Sancho, 9 Kane, 20 Foden
KROATIEN: 1 Livakovic - 2 Vrsaljko, 21 Vida, 5 Caleta-Car, 25 Gvardiol - 11 Brozovic - 9 Kramaric, 10 Modric, 8 Kovacic, 4 Perisic - 14 Rebic
Schiedsrichter: Daniele Orsato (Italien) (dpa)