STUTTGART. Rainer Schüttler hat beste Laune. Kein Wunder. Der Teamchef der deutschen Tennisdamen hat sich in Stuttgart mit seiner Mannschaft für das Finale der besten Zwölf im Billie-Jean-King-Cup qualifiziert – und unter anderem über die Unterschiede zwischen Tennisspielerinnen und -spielern gesprochen.
GEA: Sie sind Turnierdirektor der ATP-Veranstaltung in Genf und damit nach wie vor mit der Männer-Tour beschäftigt. Als Teamchef der deutschen Frauen müssen Sie auch die WTA-Turniere im Blick haben – wo sind Sie besser auf dem Laufenden?
Schüttler: Ich bin auf beiden Touren zu Hause, habe schon Männer und Angelique Kerber gecoacht. Vom Gefühl ist die Männer-Tour ein bisschen näher, weil ich 18 Jahre dort gespielt habe. Aber deshalb besuche ich Frauen-Turniere, wie diese Woche in Stuttgart, und schaue mir zudem viele Videos an, um zu sehen, wer welche Stärken und Schwächen hat, wer nachkommt.
»Zu mir war Dirk Hordorff immer mehr als korrekt«
Wenn 2007 jemand dem bei den Heilbronn Open siegreichen Doppel Schüttler/Michael Kohlmann gesagt hätte, dass Sie die Teamchefs der deutschen Frauen beziehungsweise Männer sein werden, wie hätten Sie reagiert? Schüttler: (lacht) Das habe ich damals so nicht gesehen. Und es war nicht geplant, dass ich da reingerutscht bin. Michael Kohlmann macht einen super Job, ihn zeichnet seine Ruhe aus.
Wie läuft der Austausch unter Ihnen?
Schüttler: Sehr gut – schließlich sind wir privat befreundet, haben zusammen Doppel gespielt. Wir sehen uns vor allem bei den Grand-Slam-Turnieren und waren bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Was schätzen Sie an der Arbeit mit Frauen?
Schüttler: Sie kommunizieren offen und ehrlich. Ich kannte die Mädels von der Tour, aber nicht so eng. Ende des vergangenen Jahres hatten wir ein Gespräch, in dem sie sagten, dass sie es schätzen würden, wenn ich öfter bei Turnieren dabei wäre. Damit sich alle noch besser kennen: die Spielerinnen, ihre Trainer und ich. Das hilft in einer Billie-Jean-King-Cup-Woche, die stets sehr intensiv ist.
Kommunizieren Männer anders?
Schüttler: Grundsätzlich ist jeder Mensch anders. Aber man sagt ja, dass Frauen 1 000 Gedanken im Kopf haben, Männer drei bis fünf. Frauen sind sensibler, ihnen sind Kleinigkeiten drumherum viel wichtiger. Da muss man Kritik ein bisschen mehr verpacken. Männer sagen eher: »Egal, weiter geht’s!« Deshalb ist es wichtig für mich zu wissen, was meine Mannschaft braucht.
Ein sensibles Thema ist immer das Geld. Wie ist das in Ihrer Mannschaft geregelt?
Schüttler: Die Mädels sagen: Egal, was an Prämien in der gemeinsamen Woche in den Topf kommt, ob wir gewinnen oder verlieren, wir teilen das gerecht auf. Das haben wir in meiner Zeit im Davis-Cup auch so gemacht – wobei es je nach Spieler-Konstellation Ausnahmen gab.
Es gibt in Deutschland fünf WTA-, aber nur vier ATP-Turniere. Und die Förderung des Frauen-Tennis ist breiter als bei den Männern. Ist Michael Kohlmann neidisch auf Sie?
Schüttler: Man kann nicht oft genug sagen: Es ist sensationell, wie sich Porsche für den DTB, das Frauen-Tennis und speziell den Nachwuchs bei den Frauen engagiert. Aber ich sehe das nicht so, dass es hier mehr oder dort weniger gibt. Es ist da wie dort wichtig, Sponsoren zu haben, um die enorm hohen Reisekosten etwas abzufangen.
Hat der Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen den zurückgetretenen DTB-Vizepräsidenten Dirk Hordorff dem deutschen Tennis geschadet?
Schüttler: Das weiß ich nicht.
Es dürfte im Tennis niemanden geben, der Hordorff besser kennt als Sie.
Schüttler: Ja, ich kenne ihn 30 Jahre. Deswegen bin ich auch so überrascht über diese Sache. Zu mir war er immer mehr als korrekt, hat sich zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise übergriffig verhalten.
2004 haben Sie im Doppel mit Nicolas Kiefer olympisches Silber gewonnen. Aber das ist Ihre tragischste Niederlage – die Sie immer noch plagt?
Schüttler: Nein, das nicht. Weil es mit Abstand betrachtet einer der schönsten Momente war, den ich je auf dem Tennisplatz hatte. Wir waren in jedem Match Außenseiter, standen trotzdem im Finale, hatten Matchbälle. Aber ja, es war meine bitterste Niederlage, an der ich zu knabbern hatte. Kiwi und ich saßen danach zwei Stunden nebeneinander auf dem Balkon und haben kein Wort geredet. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so traurig gewesen zu sein. Bis es zu einem Umdenken in meinem Kopf kam.
Wie das?
Schüttler: Am nächsten Tag bin ich nach Hause geflogen zu meinen Eltern, wo ich nur meine Ruhe haben wollte. Aber die wollten Leute einladen und haben mich so lange genervt, bis ich sagte: Macht, was ihr wollt. Eine halbe Stunde später war das Haus voll. Die Medaille ging rum, jeder hat mal draufgebissen, es wurde gefeiert. Eine Blaskapelle kam auch vorbei. Da habe ich erst gesehen, was das für die Menschen bedeutet hat. Und da fragte ich mich: Warum bist du so traurig? (GEA)
ZUR PERSON
Rainer Schüttler war einer der besten deutschen Tennisprofis. Der Korbacher war einst die Nummer fünf der Welt, stand 2003 im Finale der Australien Open, spielte von 1999 bis 2009 für das deutsche Davis-Cup-Team. 2012 trat der heute 46-Jährige zurück. Unvergessen ist die Fünf-Satz-Finalniederlage im olympischen Doppel 2004 in Athen an der Seite von Nicolas Kiefer mit vier vergebenen Matchbällen gegen die Chilenen Fernando Gonzalez und Nicolas Massu. Seit 2020 ist Schüttler Teamchef der deutschen Billie-Jean-King-Cup-Mannschaft. (GEA)