RÖMERSTEIN. Die Vorfreude ist immer am schönsten: Diese Erkenntnis gilt uneingeschränkt für die tausende Radsportfans oder einfach nur Streckenanwohner, die jemals so ein Event wie die Deutschland-Tour mitgemacht haben. Seit 2018 durchgeführt, lief sie auch in diesem Jahr als fünftägiges Etappenrennen in der UCI Pro-Series, dem Wettbewerb unterhalb der WorldTour. Sie ist Deutschlands einziges Etappenrennen der Männerelite, das mit dem Dänen Mads Pedersen auch der Top-Favorit gewann (siehe nebenstehenden Bericht).
Mittendrin bei der dritten Etappe am Samstag der Landkreis Reutlingen. Eine gewisse Ausnahmesituation war nicht zu verkennen, als der Berichterstatter auf dem Weg nach Böhringen – einem der Durchfahrtsorte – war. Frauen und Männer in gelben Westen waren zu Fuß zu ihren Einsatzorten unterwegs, manche trugen schon Absperrungen von A nach B, Polizeiautos standen an Kreuzungen, wo der große Tross später vorbeirauschen sollte. Und mitten auf der Böhringer Steige wies ein Warnschild die Radler, die in Kürze dort herunterrasen sollten, darauf hin, dass eine scharfe Rechtskurve folgt.
In Böhringens Ortsdurchfahrt herrscht um 12.30 Uhr bereits reges Treiben. Mittendrin Bürgermeisterin Anja Sauer, selbst eine begeisterte Radsportlerin. »Vor einem halben Jahr haben wir die Information bekommen, dass die Lidl-Deutschland-Tour in diesem Jahr durch unseren Ort führen wird. Da war die Freude natürlich riesengroß, denn schließlich kommt so was nicht alle Tage vor«, erklärt Sauer. Einen »Gänsehautmoment« erwartet die Bürgermeisterin und dies bei optimalen Bedingungen. Und sie verweist nicht zu Unrecht auf die Radsporttradition im TSV Böhringen mit einer Mountain-Bike-Abteilung, die sich sehen lassen kann. Aus ihr sind Landeskaderfahrer, deutsche Meister und Teilnehmer an Europameisterschaften hervorgegangen.
Zusammen mit dem TSV wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Römersteiner in Bewegung und an diesem Samstag an die Strecke zu bringen: Die Fanmeile wurde direkt an der Poststraße eingerichtet, schräg gegenüber von Albert Haas’ Fahrrad-Fachhandel, der nicht nur die Deutschlandfahne, sondern auch die Flagge Römersteins großflächig am Haus präsentierte. »Der Bund Deutscher Radfahrer hat mich vor zwei Wochen angeschrieben, dass die Strecke direkt an meinem Geschäft vorbeiführt.« Und so wurden Fahnen aufgehängt, die Gehsteige auf Hochglanz gebracht, dass sich die Ortsdurchfahrt den Radrennfahrern in bestem Licht präsentiert. Es ist 12.30 Uhr, die ersten Fans schauen des Öfteren auf die Uhr. Ein Polizeifahrzeug mit roter Flagge kündigt die herannahenden Profisportler an.
»Die Freude war natürlich riesengroß, denn so was kommt schließlich nicht alle Tage vor«
Die vielen hundert Streckenposten walten nun ihres Amtes und sperren die Zufahrtsstraßen zur Post- und Albstraße ab. An der Ecke Kriegsberg-/Poststraße steht Marco mit seinen zwei Söhnen. Der leidenschaftliche Radsportler fährt hobbymäßig Rennrad, spielt Tennis und wurde über den Tennisverein Münsingen als Streckenposten akquiriert. Dass auf diesem Streckenabschnitt alles funktioniert, dafür sorgt die Römersteinerin Anja Schweizer, Mountainbikerin und ehrenamtlich seit acht Jahren im Württembergischen Radsportverband aktiv.
»Dass ein Radrennen durch Böhringen führte, war zum letzten Mal vor 25 Jahren«, erinnert sich Schweizer. »Das nächste Mal werden wir wohl nicht mehr erleben«, meint Haas.
Die Spannung steigt, es werden schon die vorbeifahrenden Polizisten auf ihren Motorrädern und die Begleitfahrzeuge bejubelt. 13.04 Uhr: Laut Zeittabelle müssten die Führenden jetzt kommen, alles blickt Richtung Ortsausgang, wo von Donnstetten der Pulk erwartet wird.
13.08 Uhr: Vier Minuten später als geplant – den hochsommerlichen Temperaturen und dem Wind geschuldet – rauscht die Spitzengruppe mit fünf Fahrern, darunter drei aus dem Lidl-Trek-Team, im »D-Zug-Tempo« (42 Stundenkilometer im Schnitt) so schnell vorbei, dass die Fanmeile noch nicht mal richtig zum Jubeln angesetzt hat. Dann folgt einige Minuten später das Hauptfeld, der insgesamt 120 Fahrer. Einige Sekunden ist Böhringen Mekka des Radsports.
Einige Nachzügler erhalten dann fast so viel Beifall wie die Führenden und werden angefeuert, ebenso wie einige Hobbyfahrer, die sich einfach irgendwann hinten ins Feld reingemogelt haben und nun den Beifall genießen.
13.30 Uhr. Das Fahrzeug mit der grünen Flagge kommt, die Strecke ist freigegeben, die Absperrungen werden abgeräumt und die TSV-Verantwortlichen sind zufrieden: Die Roten Würste sind ausverkauft, der Getränkeumsatz hat gestimmt, der Erlös geht an die TSV-Jugend. (GEA)