KÖLN. Vielleicht wird man sich noch an die Worte von Roger Federer erinnern. Er könne sich schon vorstellen, dass der Schweizer Nationaltrainer ihn einmal zu einem »Final« einladen könnte. Das Tennis-Idol und Murat Yakin waren in frühester Jugend Nachbarn in Basel. Sie sind bis heute eng befreundet. Wie die deutsche Nationalmannschaft gegen Schottland, startete auch die Schweiz mit einem Sieg gegen Ungarn in die Europameisterschaft.
Und der war beim 3:1 (2:0) in Köln zu keinem Zeitpunkt wirklich gefährdet, was in erster Linie damit zu tun hatte, dass die höher eingeschätzten Ungarn in der Abwehr überraschend unsortiert waren. Und die Offensive von Yakin von Beginn an ideenreich Chance um Chance herausarbeitete. Schon in der 12. Minute spielte Michel Aebischer vom FC Bologna einen intelligenten Pass in den Lauf von Kwadwo Duah, der ließ in seinem erst zweiten Länderspiel Torwart Peter Gulasci von RB Leipzig nicht die Spur einer Chance. Schiedsrichter Slavko Vincic aus Slowenien entschied zunächst auf Abseits, der Videobeweis sorgte aber schnell für Klarheit. Kurz vor der Halbzeit erzielte Aebischer mit einem platzierten 20-Meter-Schuss das 2:0 selbst gegen die Mannschaft des italienischen Trainers Marco Rossi.
Roger Federers Wunsch erfüllen
Der hatte sich in diesem Spiel taktisch verkalkuliert. Aebischer spielte »nach einer großartigen Saison in Bologna« (Yakin) in der Grundaufstellung zwar defensiv, rückte aber immer wieder wirkungsvoll von der linken Seite ins Angriffszentrum, in dem sich Duah als ebenso wirkungsvoll erwies. »Ich kann das noch gar nicht glauben«, stammelte Duah ins Mikrofon des Schweizer Fernsehens nach dem Spiel. Vom 1. FC Nürnberg wechselte er nach Bulgarien, verdient sein Geld bei Ludogorez Rasgrad, »wir sind glücklich, dass wir ihn haben«, sagt Yakin, der noch vor Monaten vor der Ablösung in der Schweiz stand. Jetzt gelang ihm zum Euro-Auftakt der Beweis, dass er einer ist, der seinem Freund Roger Federer möglicherweise Wünsche erfüllen kann.
»Ich vertraue mir selbst«, sagt Yakin selbstbewusst, »und meinem Team, es ist eine Genugtuung für mich, dieses Spiel gegen Ungarn zum Auftakt der Europameisterschaft zu gewinnen«. Der Garant für den Sieg war am Ende Granit Xhaka von Bayer Leverkusen, der ein wahrer Leader ist, unumstritten in seiner Führungsposition in der »Nati« wie bei Bayer, der »Mann des Spiels«. Yakin hat dafür gesorgt, dass da ein Team zusammengewachsen ist, mit einer Achse aus Yann Sommer, Torwart bei Inter Mailand, Manuel Akanji von Manchester City in der Verteidigung und eben Xhaka. »Der Konkurrenzkampf tut der Mannschaft gut«, sagt Xhaka, »Wir wussten lange nicht, wer gegen Ungarn spielen wird. Der Trainer hat eine gute Formation gefunden.« Stress zwischen ihm und Yakin? Nicht wirklich.
Embolo will sich beweisen
Und dann war da noch Breel Embolo, der das Spiel nach katastrophalen Abwehrfehler von Willi Orban in der Nachspielzeit zum 3:1 endgültig entschied. Yakin sagt: »Ich habe gespürt, dass Breel sich beweisen will, dass er auf einen Einsatz brennt.« Der ehemalige Mönchengladbacher, der bei AS Monaco unter Vertrag steht, war lange verletzt. Kreuzbandriss.
Yakin, beim VfB Stuttgart und bei Fenerbahce in den 90er Jahren Spieler unter Trainer Joachim Löw, wird gern, aber unzutreffend, die Liebe zum Pokerspiel unterstellt. Er ist seit August 2021 Nationaltrainer, scheiterte bei der Euro 2021 erst im Viertelfinale im Elfmeterschießen an Spanien, bei der WM 2022 stand die Mannschaft im Achtelfinale, unterstrich in Köln seine Liebe zum Schachspiel. »Ich bin kein Pokerspieler, verdeckte Karten sind nicht meins. Meine Spieler funktionieren eher wie Schachfiguren, sie haben gegen Ungarn meinen Plan perfekt umgesetzt, wir setzen sie da ein, wo ihre Profile genau passen. Marco Rossi, den ich sehr schätze, war überrascht von unserer taktischen Aufstellung.« Yakin war zufrieden – und redete in Köln gern darüber.
Granit Xhaka war es auch. »Die deutsche Mannschaft und wir haben den ersten wichtigen Schritt gemacht, wir aber schauen nur auf uns, den Druck machen wir uns schon selbst.« Xhaka hat inzwischen seine A-Lizenz gemacht. »Das hat mir viel gegeben«, sagt er, »aber am liebsten stehe ich immer noch als Spieler auf dem Platz, und zwar möglichst lang. Früher haben die anderen in der Schlussphase die Tore erzielt, jetzt sind wir es.« Dafür, dass er nicht gerne über sich redet, redet auch er nach dem Sieg in Köln doch überraschend lange. Er habe, sagt er, mit mehr Widerstand gerechnet, auch von Schottland im Spiel gegen Deutschland habe er mehr erwartet. »Aber ich bin kein großer Freund von Statistiken, mir ist es am Ende egal, wer die Tore schießt, das war es mir immer.« Mann des Spiels, »ein kleiner Pokal«, ganz nett, sagt Xhaka, aber am Ende entscheiden die größeren Trophäen. (GEA)