Gelsenkirchen (dpa) - Die Beförderung zum Kapitän, ein Stammplatz im Tor und ein üppiges Vertragsangebot - selbst intensivstes Werben des FC Schalke 04 konnte Alexander Nübel nicht umstimmen.
Die Entscheidung des 23 Jahre alten Torwarts, im Sommer voraussichtlich zum FC Bayern München zu wechseln, sorgt für Unverständnis - nicht nur beim Revierclub. Clemens Tönnies machte aus seinem Frust kein Hehl. »Wir haben alles dafür getan, ihn auf Schalke zu halten. Nun müssen wir seine Entscheidung akzeptieren - kapieren tue ich sie nicht«, klagte der Aufsichtsratschef in der »Bild«.
Auch wenn die Bestätigung der Münchner noch aussteht, gilt der Transfer als ausgemachte Sache. Dem Vernehmen nach erhält Nübel einen Fünf-Jahres-Vertrag. Beim Rekordmeister darf er auf einen Stammplatz hoffen - vorerst jedoch auf der Bank. Weil der 2011 ebenfalls vom FC Schalke verpflichtete Manuel Neuer aktuell als Nummer 1 unantastbar ist und auf Wunsch des Clubs demnächst sogar bis 2023 verlängern soll, müsste sich der gut zehn Jahre jüngere Nübel über eine längere Zeit mit der Reservistenrolle begnügen. Nicht zuletzt deshalb sprach der ehemalige Nationaltorhüter und heutige Sky-Experte René Adler von einem zweifelhaften Karriereplan: »Die Frage für Alexander Nübel lautet: Ist das der richtige Schritt?«
Weniger kritische Beobachter verweisen auf das positive Beispiel von Marc-André ter Stegen, der 2014 als 22-Jähriger aus Mönchengladbach zum FC Barcelona gewechselt war. Der zunächst nur in der Champions League und im Pokalwettbewerb eingesetzte Ausnahmekönner hat sich beim spanischen Meister mittlerweile einen Stammplatz erkämpft.
Angeblich soll Nübel beim FC Bayern durch gelegentliche Einsätze zur Nummer 1 nach Neuer aufgebaut werden. Der Haken: Sein neuer vereinsinterner Konkurrent gilt als extrem ehrgeizig und räumt selbst bei Testspielen ungern seinen Posten. Der Nationalkeeper schloss in einem »Kicker«-Interview eine Fortsetzung seiner aktiven Laufbahn selbst bis zur Heim-Europameisterschaft 2024 nicht aus. »Noch bin ich fit und von daher bereit!«, sagte Neuer.
Der Weltmeister von 2014 nannte erst kürzlich im Kreise der Nationalmannschaft Nübel als einen potenziellen Nachfolger im DFB-Tor. »Das kann er sein«, sagte Neuer. »Die Zeichen stehen sehr gut für ihn. Er ist Stammtorwart auf Schalke geworden und hat eine gute U21-Europameisterschaft gespielt.« Neuer sagte im Oktober in Tallinn vor dem Länderspiel gegen Estland aber auch: »Natürlich braucht er Erfahrung in der nächsten Zeit. Aber die wird er sich holen, wenn er seine Spiele macht.«
Eine mögliche Variante könnte darum sein, dass Nübel sich in München ausleihen ließe, um Spielpraxis zu bekommen. Dafür ist Serge Gnabry ein gutes Beispiel: Der Angreifer wechselte 2017 von Werder Bremen zum FC Bayern und ließ sich auf eigenen Wunsch an 1899 Hoffenheim ausleihen. Im Kraichgau entwickelte sich Gnabry prächtig. Nach einer Saison kehrte er nach München zurück und setzte sich durch. Davon profitiert Gnabry auch in der Nationalmannschaft.
Es spricht für die großen Ambitionen von Nübel, dass er sich dem extremen Konkurrenzkampf in München stellen will. An Selbstvertrauen mangelt es dem Ostwestfalen nicht. »Mein großes Ziel ist die Nationalmannschaft. Ich will eine eigene Ära prägen«, hatte der einstige U21-Nationalkeeper im Sommer verraten.
Sein Ziel, möglichst schnell den Sprung in die Löw-Elf zu schaffen, befördert er mit seiner jüngsten Entscheidung eher nicht. Schließlich muss er nun sogar um seinen Stammplatz im Schalkes Tor bangen. Denn ein Wechsel zum FC Bayern kommt bei den 04-Anhängern gar nicht gut an. Neuer wird auch acht Jahre nach seinem Wechsel bei Gastspielen in seiner ehemaligen Heimat ausgepfiffen.
Beim Spiel gegen seinen vermeintlich neuen Verein am 25. Januar in München wird Nübel auf jeden Fall nicht im Tor der Königsblauen stehen und sich im direkten Duell mit Manuel Neuer messen können. Seine Sperre von vier Partien, die er für seinen Kung-Fu-Tritt gegen den Frankfurter Mijat Gacinovic erhalten hatte, läuft erst danach ab.
Schalke hat gleich doppelt Grund zum Ärger. Denn der Abgang von Nübel beschert nicht nur einen sportlichen, sondern auch einen finanziellen Verlust. Zum wiederholten Mal kann ein Leistungsträger ablösefrei gehen. Das war bereits bei Leon Goretzka (FC Bayern), Max Meyer (Crystal Palace), Joel Matip (Liverpool), Sead Kolasinac (FC Arsenal) und Kevin Kuranyi (Moskau) der Fall. Damit dürfte der Revierclub in diesem Jahrzehnt geschätzte 120 Millionen Euro verloren haben.