Sinsheim (dpa) - Es passiert äußerst selten, dass Lucien Favre in der Öffentlichkeit den Rahmen der Höflichkeit verlässt. Der Trainer von Borussia Dortmund gilt als anständiger Mann mit feinen Umgangsformen, nicht nur deshalb bieten seine Pressekonferenzen zumeist eher mäßigen Unterhaltungswert.
Aber nach dem 1:2 bei der TSG 1899 Hoffenheim konnte auch der Schweizer mit dem oft niedlich wirkenden französischen Akzent nicht mehr anders. Dreimal benutzte der gequält und ungläubig aussehende Coach den Begriff »dumm« in Bezug auf seine Mannschaft. Anders ließ sich die völlig unnötige Niederlage des BVB vor der Winterpause auch nicht beschreiben.
Die Borussia hatte einen schwachen Gegner von Beginn an im Griff. Dass die TSG dennoch gewann, lag nicht an ihr selbst, sondern nur an den wieder einmal rätselhaften Nachlässigkeiten des Vizemeisters. Anstatt nach dem 1:0 durch Mario Götze (17. Minute) schnell nachzulegen, zogen die Dortmunder sich zurück und überließen den Kraichgauern mehr und mehr Spielanteile.
Zwar entwickelten die Gastgeber dadurch zwar zunächst auch nicht mehr Gefahr. Aber ab der Mitte des ersten Durchgangs konnte man beobachten, wie eine anfangs klar für den BVB sprechende Ballbesitzstatistik sich immer mehr anglich. Am Ende des Spiels war sie ausgeglichen - und der eingewechselte Sargis Adamyan (79.) sowie Andrej Kramarić (87.) hatten die Partie noch gedreht.
»Das ist dumm, muss ich sagen, das ist dumm!«, schimpfte Favre mit Blick auf das ausgebliebene 2:0 oder 3:0. Seine Mannschaft hatte die Kontrolle über ein mutmaßlich leicht zu gewinnendes Spiel einfach so abgegeben. Ohne Not. Und ohne, dass man dafür irgendeine logische Erklärung finden könnte. Nach dem 3:3 gegen Paderborn Ende November wähnte man sich in Dortmund eigentlich im Bundesliga-Aufschwung.
Gegen Fortuna Düsseldorf (5:0) und den FSV Mainz 05 (4:0) wurde auch deshalb souverän und überzeugend gewonnen, weil der BVB seine Überlegenheit bis zum Ende konsequent und hochkonzentriert ausspielte. Aber schon am Dienstag gegen RB Leipzig (3:3) hatten sich die alten Symptome im Ansatz wieder angedeutet.
Selbst die in dieser Spielzeit so starken Sachsen hatte Favres Team im ersten Durchgang dominiert. Nur durch schwerwiegende Patzer nahm RB einen schmeichelhaften Punkt aus Dortmund mit. Und auch das 1:2 in Sinsheim war auf bizarre Art und Weise ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk der Borussia an die TSG. »Jetzt stehen wir doof da«, sagte Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielabteilung. »Wir hätten deutlich mehr aus dieser Woche rausholen können. Nicht weil der Gegner so gut war, sondern weil wir es einfach selber nicht hinbekommen haben.«
Die Frage, die sich ihm, Favre, Sportdirektor Michael Zorc oder Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nun nicht zum ersten Mal stellt, lautet: Warum ist das so? Der BVB möchte gerne Meister werden, aber zum wiederholten Male fiel er nur durch wenig meisterliche Nachlässigkeiten auf. Noch an diesem Wochenende wollte sich die sportliche Führung zusammensetzen, um die rätselhafte Hinrunde des vor der Saison millionenschwer aufgemotzten Kaders zu analysieren. Dass die Dortmunder Profis über außergewöhnliche Qualitäten verfügen, war auch in Sinsheim zu sehen. Aber Qualität im Bein reicht nicht allein. Offensichtlich fehlt es an anderen Dingen.