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Aktuell INTERVIEW

Neuer Leichtathletik-Chef Jochen Schwitzer: »Delle von Budapest überwunden«

Der neue Leichtathletik-Chef Jochen Schweitzer über sein Wahlergebnis, Schwerpunkte und die neue Struktur

Mit 168 von 168 Stimmen gewählt: Jochen Schweitzer.  FOTO: VERBAND
Mit 168 von 168 Stimmen gewählt: Jochen Schweitzer. FOTO: VERBAND
Mit 168 von 168 Stimmen gewählt: Jochen Schweitzer. FOTO: VERBAND

DRESDEN. Jochen Schweitzer (41) hat in Dresden Jürgen Kessing (67), Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen, nach sieben Jahren als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) ein Jahr vor Ablauf von dessen Amtszeit abgelöst. Schweitzer führt den Verband nach einer Umstrukturierung des seitherigen Präsidiums zum Aufsichtsrat als Aufsichtsratsvorsitzender zusammen mit einem dreiköpfigen, hauptamtlichen Vorstand. Schweitzer äußert sich zur sportlichen Situation des DLV, seinen Ansprüchen und Zielen.GEA: Glückwunsch zur einstimmigen Wahl an die Spitze des DLV mit 168 von 168 Stimmen. Das sind ja fast DDR-Verhältnisse …

Jochen Schweitzer: Es war offensichtlich der Wunsch der Mitglieder-Versammlung im DLV, jemanden aus den Landesverbänden mit Bezug zur Basis an die Spitze zu wählen. Ich denke, dass ich in den letzten 20 Jahren gute Arbeit geleistet habe. Dies wurde jetzt offenbar gewürdigt.

Welche Absicht steckt hinter der Umstrukturierung an der Spitze des DLV vom Präsidium zum Aufsichtsrat?

Schweitzer: Als großer Sportverband muss sich der DLV professionalisieren und Entscheidungsprozesse über kurze Wege herbeiführen. Dies soll die neue Struktur gewährleisten.

Wo steht die deutsche Leichtathletik nach den Olympischen Spielen von Paris?

Schweitzer: Vier Medaillen und einige Top-Acht-Platzierungen bei den Olympischen Spielen in Paris zeigen, dass nach der Delle der WM von 2023 in Budapest ein Wandel herbeigeführt werden konnte. Wir hatten mit Gold für Yemisi Ogunleye, Bronze für die Frauen-Staffel und der sensationellen Silbermedaille von Leo Neugebauer endlich auch das Quäntchen Glück, denn nicht immer sind Leistungen und Medaillen planbar.

Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit an der Spitze des DLV in den nächsten Monaten?

Schweitzer: Der neue Aufsichtsrat muss gemeinsam mit dem Hauptamt im DLV sein Rollenverständnis entwickeln und die Basis muss gestärkt werden. Der Konkurrenzsituation mit anderen Sportarten, auch in den Medien und hier besonders den neuen Medien, müssen wir gerecht werden, um als Sportart wieder interessanter zu sein.

Hat die deutsche Leichtathletik in den vergangenen Jahren den Anschluss an die internationale Spitze verloren, wie die negative sportliche Bilanz im letzten Jahrzehnt, die EM in Berlin 2018 und München 2022 ausgenommen, nahe legt?

Schweitzer: Man muss im internationalen Vergleich einfach sehen, dass der Medaillenkuchen durch immer mehr Länder, die Medaillen holen, immer kleiner wird. Bei den Spielen von Paris hat das 100. Land im Rahmen der Olympischen Spiele eine Medaille bei der Leichtathletik gewonnen. Für Athleten aus Schwellenländern ist die Motivation zum sozialen Aufstieg durch sportliche Erfolge immer noch sehr hoch, um einiges größer als bei uns.

»Die Leichtathletik besitzt nach wie vor über eine hohe Strahlkraft«

 

 

 

Hat die Leichtathletik keine gesellschaftliche Lobby mehr? Ist das Land Leichtathletik-müde?

Schweitzer: Die Leichtathletik steht für Leistung und besitzt nach wie vor eine hohe Strahlkraft, das haben Paris und auch die EM in Rom in diesem Jahr gezeigt.

Wo sehen Sie Ansätze für eine Verbesserung der sportlichen Situation?

Schweitzer: Wir haben gute Athleten und gute Trainer. Die jungen Athleten und auch ihre Betreuer müssen wir gezielter an der Hand nehmen und sie weiter ausbilden, anleiten und führen.

Kleine Länder wie die Niederlande, die Schweiz oder Norwegen haben den DLV überholt. Warum? Die Schweiz beispielsweise ist dank eines langfristig entwickelten Konzepts bei der EM in Rom am DLV vorbeigezogen.

Schweitzer: Die Niederlande haben eine starke Zentralisierung vorgenommen, die Schweiz praktiziert ein Nester-System, und Norwegen hat in den letzten Jahren die Infrastruktur mit dem Bau von Sportstätten und Hallen gestärkt. Dies alles ist in einem föderalistischen System wie bei uns nicht so leicht zu bewerk-stelligen.

Sportpolitisch war der Ausschluss russischer Athleten sowohl bei WM als auch Olympischen Spielen ein bestimmendes Thema. Wie bewerten Sie den Ausschluss russischer Athleten?

Schweitzer: Da stehen wir weiter hinter der Null-Toleranz-Politik des Europäischen und auch des Welt-Leichtathletik-Verbandes. (GEA)

ZUR PERSON

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat auf seiner Mitgliederversammlung in Dresden Jochen Schweitzer an die Spitze des neuen, siebenköpfigen Aufsichtsrats gewählt. Der 41 Jahre alte Schweitzer ist Konrektor an einer Mädchenrealschule in Erding. Schweitzer war zuvor sieben Jahre DLV-Vizepräsident (Ressort Finanzen) und von 2015 bis 2017 Präsident des süddeutschen Verbandes. Das operative Geschäft beim DLV liegt in den Händen des hauptamtlichen Vorstands mit Idriss Gonschinska (Vorsitzender), Ralf Buckwitz (Sportentwicklung), Jörg Bügner (Leistungssport). (ewa)