REUTLINGEN. Passanten stutzten, blieben stehen, sahen genauer hin. Einige zückten ihre Handys. Einen Porsche Cayman GT4 CS in Renn-Montur, verschiedenfarbig lackiert und mit Startnummer versehen, sieht man schließlich nicht alle Tage vor der Zentrale der Reutlinger Volksbank stehen. Drinnen im Gebäude war der Andrang groß. Weit über 200 Interessierte ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen. Das Thema nachhaltiger Motorsport elektrisiert offenbar. Das zeigte sich auch in der Fragerunde nach der Podiumsdiskussion. Denn was im Rennsport heute getestet und entwickelt wird, kann morgen oder übermorgen in Serienreife auch in den Alltags-Wagen zu finden sein.
»Am Ende gewinnt die Nachhaltigkeit, sonst verlieren wir den Planeten«, sagte Thomas von Löwis of Menar, ein Pionier auf diesem Gebiet. Einst - wie der Reutlinger selbst sagt - ein »Petrolhead«, also einer, der Benzin im Blut hat. Unter anderem fuhr er fünf Jahre Rennen in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft. Im Verlauf seiner über 50 Jahre im Motorsport wandelte er sich zum Ökorennfahrer. Reihenweise fuhren seither seine Wagen auf der legendären Nordschleife des Nürburgrings in der Klasse »Alternative Treibstoffe« den Sieg ein. Zusammen mit Smudo, dem Sänger der »Fantastischen Vier«, der längst selbst ein Rennfahrer ist, hat von Löwis 2003 den Rennstall Four Motors gegründet. Anlass war die Idee, den Motorsport nachhaltiger und damit zukunftsfähig zu machen. Anders ausgedrückt: Geschwindigkeit mit Umweltbewusstsein zu verschmelzen.
Sehr viele Öko-Elemente verbaut
Smudo, der bei der Veranstaltung per Video zugeschaltet wurde, sagte über diesen speziellen Ehrgeiz: »Es macht einen Heidenspaß, wenn weniger Kraftstoff verbraucht und weniger Reifen verheizt werden.« Und das ist noch nicht alles. Beim Porsche Cayman, dem neuen Bioconcept-Car des Teams, sind bis auf die tragenden Teile sehr viele Öko-Elemente verbaut oder integriert: Die Palette reicht vom wiederaufbereiteten Motor- und Getriebe-Öl über abriebärmere Reifen und Bremsbeläge bis zum Kraftstoff E20+ , der aus bis zu 24 Prozent Prozent Reststoff-Ethanol, also Abfallprodukten der Futtermittelproduktion, besteht und über 60 Prozent biogene Anteile enthält. Und dabei eine Oktanzahl von 100 aufweist.
Um den Rennwagen so umzugestalten, braucht Four Motors Partner. Einer davon ist Porsche. Auf die Zuffenhausener Sportwagen-Schmiede kam Tom, wie ihn die Renn-Szene nennt, 2017 zu und fragte, ob man nicht Naturfaser als Karosserie-Material einsetzen könne. »Wir fanden die Idee gut«, berichtet Eduard Ene, der bei Porsche Fachreferent für kohlenstofffaser-verstärkte Kunststoffe, das sogenannte Carbon, ist. Carbon war bis dahin der bevorzugte Kunststoff bei der Rennwagen-Herstellung, weil damit ein Leichtbau möglich ist. Und im Motorsport bedeutet leicht =schnell.
Flachs als Alternativ-Baustoff
Damit kann aber auch die Naturfaser punkten. Also wurden für Four Motors alle Bauteile, in denen Carbon nicht zwingend erforderlich ist, durch Naturfasern ersetzt, schilderte Ene auf die Frage von Moderator Thomas Hübner, wie es dazu kam. Garne aus Flachs sind das bevorzugte Material, das allerdings den Nachteil hat, dass es feucht werden kann. Daher wird, vereinfacht gesagt, schon vor der Bauteil-Herstellung dem Flachs die Feuchtigkeit entzogen und am Schluss das fertige Gewebe durch Lackierung stabilisiert. Diese Naturfaser-Leichtbauteile finden sich am Four-Motors-Porsche rund ums Auto: An den Türen, dem Diffusor, der Front- und Heckklappe oder auch dem Interieur, um nur einige Bereiche zu nennen.
Durch den Einsatz von Naturfasern werden die CO2-Emissionen bei diesen Bauteilen um annähernd 95 Prozent reduziert. Gegenüber Carbon hätten die Naturfasern weitere Vorteile, unterstrich Ene. Man brauche viel weniger Energie bei der Herstellung, es entsteht kein schwarzer Staub und es splittert »freundlicher«, wie der Porsche-Experte sagte: »Es fühlt sich dann an, wie wenn man ein zerrissenes T-Shirt anfasst.«
E-Fuels noch Zukunftsmusik
In der Fragerunde war neben der E-Mobilität (»Eine tolle Technologie«, wie von Löwis urteilte) vor allem der Treibstoff ein Thema. Rennfahrerin Michelle Halder aus Überlingen, die im Vorjahr am Nürburgring in der GT3-Klasse zum Sieger-Team gehörte, sagte: »Wir haben einen nachhaltigen Sprit, aber der Sound, den vor allem ältere Fans lieben, ist im Gegensatz zur E-Mobilität trotzdem da.« Der »Visionär«, wie Holger Hummel, der Regionalvorstand der gastgebenden Volksbank Reutlingen, von Löwis bezeichnete, blickte zurück. Erst benutzte das Team Bio-Diesel. Später folgten E20 und zuletzt eine Mischung, die 20 Prozent Ethanol und 40 Prozent Abfallstoffe aufwies. Auch zu den E-Fuels bezog er Stellung. »Wir sind schwer dafür, dass sie kommen«, sagte der Teamchef über die mit Hilfe von erneuerbaren Energien synthetisch hergestellten Kraftstoffe. Allerdings glaubt er aufgrund der noch fehlenden Menge, dass dies frühestens 2034/35 der Fall sein werde. Sein Credo: »Der Motorsport wird der Wegweiser sein, damit der Verkehr grüner wird.« (GEA)