PARIS. Malaika Mihambo ist eine der populärsten deutschen Sportlerinnen. Bei den Olympischen Spielen in Paris möchte die Leichtathletin ihren Olympiasieg von Tokio 2021 wiederholen. Im Interview schaut sie nicht nur auf die besten Sprünge in der Weitsprunggrube, sondern auch auf ihre persönliche Entwicklung und zeigt sich kritisch bezüglich gesellschaftlichen Entwicklungen.
GEA: Malaika Mihambo, wie sind Sie mit dem bisherigen Saisonverlauf vor den Olympischen Spielen in Paris zufrieden?
Malaika Mihambo: Es ging für mich am Anfang des Jahres darum, einfach zurückzukommen nach der Verletzung im letzten Jahr. Wir haben dafür einige Umstellungen im Training vorgenommen. Im Bereich des Krafttrainings haben wir mehr Trainingseinheiten und neue Inhalte durchgeführt. Das hat gute Früchte getragen. Die Hallensaison war schon sehr vielversprechend. Anfang der Saison hatte ich das noch nicht zeigen können. Aber es war klar, dass da mehr drin ist.
Das haben Sie bei der Europameisterschaft in Rom mit 7,22 Meter, dem zweitweitesten Sprung Ihrer Karriere, schon bewiesen …
Mihambo: Dabei hatte ich mich in Rom schon bei der Qualifikation nicht mehr gut gefühlt, da war schon der Infekt (Anm: sie hatte danach erneut Corona) im Anmarsch. Von daher weiß ich, dass ich mir noch mehr zutrauen kann. Zudem kann ich jetzt noch einige Wochen trainieren, um die ganzen Trainingsmittel ausreizen. Allerdings zeigt der Infekt seine Auswirkungen und ich muss erstmal kleine Schritte machen. Es war immer klar, dass der Saisonhöhepunkt nicht in Rom sein sollte, sondern bei den Olympischen Spielen in Paris.
Wie sieht die Vorbereitung auf Paris aus?
Mihambo: Neben dem Training waren dies noch die Starts in der Diamond League in Paris und London.
Sie mussten bei der WM in Budapest wegen eines Muskelfaserrisses und auch wegen Krankheiten – Sie hatten zweimal Corona – passen. Dies gehört zum Leistungssport offensichtlich dazu ...
Mihambo: Ja, das lässt sich nicht vermeiden. Man muss natürlich sagen, dass Corona ein anderer Infekt ist als eine normale Erkältung. Bei mir war es wieder so, dass meine Lungenfunktion reduziert war, genauer gesagt, die Gas-Austausch-Funktion. Auch meine Muskeln, mein ganzer Körper, sind gerade noch nicht so belastbar wie zuvor. Da muss ich schauen, dass ich schnell genug fit werde. Im schlimmsten Fall kann es sein, dass ich in Paris nicht sechs Sprünge machen kann.
»Ich fühle mich nicht als anderer Mensch, ob ich jetzt Olympiasiegerin bin oder nicht«
Drei Deutsche in Europa unter den besten Acht, das hat es nach Aussage Ihres Trainers und Bundestrainers Ulrich Knapp noch nie gegeben. Wie sehen Sie diese Situation der deutschen Weitspringerinnen vor Olympia?
Mihambo: Es ist sehr gut, dass es beim Nachwuchs wieder verstärkt Konkurrenz gibt, weil dieser Konkurrenzdruck dazu führt, dass sich keiner ausruhen kann und wir dadurch noch besser werden. Dies ist die beste Grundlage für die Spiele in Paris.
Sie haben alles gewonnen: Olympische Spiele, je zweimal Weltmeisterschaften und Europameisterschaften, waren 14 Mal deutsche Meisterin. Was ist Ihre Motivation, Ihr innerer Antrieb, solange im Hochleistungssport dran zu bleiben?
Mihambo: Es geht für mich nicht um diese äußeren Erfolge. Mir geht’s darum: Wie kann ich meine Grenzen verschieben, wie kann ich lernen, mich noch besser zu entwickeln, wie kann ich noch besser trainieren, um meine Qualität nach oben zu verschieben und zu schauen, wie weit ich dann springen kann. Gleichzeitig ist es für mich immer auch eine innere Meisterschaft. Wie entwickle ich mich weiter, wo stehe ich gerade, welche Sprünge habe ich gemacht, nicht nur in die Grube, sondern auch in der persönlichen Entwicklung?
Sie sind derzeit vielleicht die populärste deutsche Sportlerin. Was macht diese Popularität mit Ihnen?
Mihambo: Im besten Fall nichts. Ich freue mich natürlich, dass ich von vielen wertgeschätzt werde, dass viele die Wettkämpfe verfolgen. Gleichzeitig fühle ich mich nicht als anderer Mensch, ob ich jetzt Olympiasiegerin bin oder nicht, ob ich gewinne oder nicht, das macht nichts mit meinem Selbstgefühl.
Sie haben für Ihren Disziplinsieg aus Weitsprung, Hochsprung und Dreisprung bei der EM in Rom eine Prämie von 50.000 Euro erhalten. Manche Leichtathleten mögen neidisch gewesen sein, die Fußballer lachen über dieses Geld. Welche Rolle spielt für Sie das Geld in der Leichtathletik?
Mihambo: Ich bin natürlich in der schönen Lage, durch meine Erfolge vom Sport leben zu können, auch weil ich inzwischen viele Partnerschaften habe und mich voll und ganz auf den Sport konzentrieren kann. Gleichzeitig ist es aber so, dass es vielen Athleten nicht so geht. Viele arbeiten halbtags oder gar in Vollzeit. Es verdient größte Hochachtung, dass viele den Spagat zwischen Beruf und Hochleistungssport schaffen. Ich weiß, dass es in der Leichtathletik vielen nicht so geht wie mir. Ich schätze mich glücklich. Deshalb ist die Unterstützung durch Sporthilfe, Bundeswehr und Bundespolizei und auch den DLV so wichtig.
Haben Sie die Verwendung der EM-Prämie schon geplant, beispielsweise für eine große Reise?
Mihambo: Wer mich kennt, weiß, dass meine Reisen »low budget« erfolgen. Ich überleg mir mal, wenn ich was Größeres im Sinn habe, was ich damit mache.
Die Situation der deutschen Leichtathletik ist nach Eugene 2022, München 2022, Budapest 2023 und zuletzt in Rom in einem Wellental. Wie bewerten Sie das als erfahrene Athletin?
Mihambo: Ich versuche, dies differenziert zu betrachten. Es gab sicher einige Athleten, denen in den letzten Jahren das notwendige Glück gefehlt hat, so dass es am Tag X nur einen vierten Platz statt eine Medaille gab. Dann gibt es viele Athleten, die für sich einen guten Wettkampf gemacht haben mit Bestleistungen, und dies sollte man auch anerkennen. Natürlich geht es in manchen Disziplinen darum, den Anschluss zu finden. Dies ist eine Frage, die man langfristig beantworten und Lösungen finden muss.
»Ich kann mir vorstellen, mal eine Familie zu haben und auf dem Land zu wohnen«
Vermeintlich kleinere Länder wie die Schweiz, Niederlande oder Belgien waren zuletzt erfolgreicher als die deutsche Leichtathletik ...
Mihambo: Ja, es gibt Länder, die einfach mehr in den Sport investieren. Klar ist: Mehr Geld bedeutet nicht immer gleich mehr Erfolg, mehr Geld erhöht aber die Chancen. Und wenn man mehr Geld hat, muss man trotzdem noch gut überlegen, wofür man es einsetzt. In den letzten Jahren investierte gerade die Schweiz mehr in die Leichtathletik, genau wie die Niederlande. Und wenn man sieht, was in den USA in der Leichtathletik an Geld zur Verfügung steht, bringt dies ganz andere Möglichkeiten.
Ihre Anstöße zum Thema Rassismus auch im Sport haben zuletzt wieder Aktualität erhalten, als der frischgebackene 9,99-Sekunden-Sprinter Owen Ansah, dessen Eltern aus Ghana stammen, nach seiner Leistung über 100 Meter in den sozialen Medien heftig beschimpft wurde. Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye berichtet von denselben Erfahrungen …
Mihambo: Ich möchte es auf den Punkt bringen: Wir haben in unserer Gesellschaft ein Problem mit Rassismus, und das seit Jahren. Es wird jetzt offensichtlicher als früher. Manche Menschen, die ihre rassistische Meinungen und Haltungen früher unter vorgehaltener Hand geäußert haben, stellen dies jetzt offen zur Schau. Das hat sich geändert. Das zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass wir uns alle dafür einsetzen, dass wir in einer offenen Gesellschaft leben, dass dies kein Selbstläufer ist. Jeder Einzelne in der Gesellschaft muss daran arbeiten, denn jeder ist an diesem Thema beteiligt: entweder als Opfer, Täter oder Zuschauer. Es darf keine Zuschauer geben. Gleichzeitig geht es auch darum, durch Bildung aufzuklären und gemeinsame Werte in der Gesellschaft zu stärken. Da sind alle gefragt: Medien, Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft.
Welche Lebensziele hat Malaika Mihambo noch?
Mihambo: Ich kann mir vorstellen, mal eine Familie zu haben und auf dem Land zu wohnen. Gleichzeitig bin ich auch daran interessiert, die Welt zu sehen und auch daraus zu lernen. Weil ich weiß, dass ich nicht immer Sport machen kann, freue ich mich, wenn ich dann mal einen Weg finde, wie ich das, was ich inzwischen gelernt habe, weitergeben kann, ob das Wissen aus dem Sport kommt oder den Umwelt- und Politikwissenschaften. Um vielleicht dazu beizutragen, dass die Welt ein bisschen besser wird.
Ihr Trainer Ulrich Knapp ist seit vielen Jahren Ihr Wegbegleiter. Was verbindet Sie beide?
Mihambo: Das Besondere an Ulli ist, dass er sehr feinfühlig ist. Er nimmt sich selbst nicht so wichtig, ist selbstlos und kann viel geben. Wenn wir alle mehr geben würden, als wir nehmen, wäre diese Welt ein schönerer Ort. (GEA)
ZUR PERSON
Malaika Mihambo (LG Kurpfalz) wurde am 3. Februar 1994 geboren, hat Politikwissenschaft studiert und ist derzeit im Studiengang Umweltwissenschaften eingeschrieben. Ihr Vorname Malaika bedeutet übersetzt Engel. Die Weitspringerin wurde 2021 Olympiasiegerin in Tokio, Weltmeisterin 2019 und 2022 in Doha und Eugene sowie Europameisterin 2018 und 2024 in Berlin und Rom. Mihambo wurde drei Mal als Sportlerin des Jahres ausgezeichnet. Sie veröffentlichte außerdem das Buch »Spring dich frei« mit Kritik am Kommerz bei den Olympischen Spielen. (ewa)