MÜNCHEN. Zum Start in die Woche der endgültigen Entscheidung über seine Zukunft als Bundestrainer tauchte Joachim Löw plötzlich in Frankfurt auf.
Nach tagelangem Schweigen im Schwarzwald traf sich der 60-Jährige einem »Bild«-Bericht zufolge überraschend bereits in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit einigen wenigen, aber zentralen Entscheidern des Verbandes. Zwei Wochen nach dem verstörenden 0:6-Debakel gegen Spanien in Sevilla soll es allerspätestens bei der DFB-Präsidiumssitzung am Freitag dann zum Votum Richtung EM 2021 kommen: Pro oder contra Löw?
Der DFB bestätigte den Gipfel von Löw mit der Verbandsspitze um Präsident Fritz Keller und den für die Nationalteams verantwortlichen DFB-Direktor Oliver Bierhoff zunächst nicht. Der DFB hatte dem ewigen Bundes-Jogi wie nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 die »zeitliche und emotionale Distanz« gewährt, die sportliche Situation in Ruhe aufzuarbeiten - gerade auch persönlich.
Dass Löw nach der angeordneten inneren Einkehr ein halbes Jahr vor der Europameisterschaft mit den Heimspielen in der Gruppenphase gegen Weltmeister Frankreich, Titelverteidiger Portugal und Ungarn in München hinwirft, hielten Personen aus dem direkten Dunstkreis der DFB-Auswahl, aber auch gut informierte Personen im Umfeld der Verbands-Funktionäre vor dem Treffen für unwahrscheinlich.
Löw verabschiedete sich aus Sevilla zwar mit der Aussage, dass es jetzt darum gehe, »die richtigen Schlüsse« aus dem »rabenschwarzen Abend« zu ziehen. Er äußerte aber keine Zweifel an sich selbst und seinem Kurs, der ganz auf den EM-Sommer ausgerichtet ist. Im Verband werden zudem der ungünstige Zeitpunkt, die schwierige Corona-Lage und auch eine sofort fehlende Nachfolgelösung gesehen.
Das Vorabtreffen könnte den Entscheidungsprozess beschleunigen. Bierhoff (52) hatte seinem Weggefährten Löw noch in Sevilla Rückendeckung gegeben: »Das Vertrauen ist da, daran ändert auch dieses Spiel nichts.« Auch der sprunghafte und bisweilen emotional handelnde Keller (63) sprach sich anfänglich ganz schnell dafür aus, den »steinigen« Weg mit einem jungen Umbruchteam fortzuführen.
Der am Spitzengespräch beteiligte DFB-Vizepräsident Peter Peters gilt nicht erst seit dem WM-Triumph 2014 in Brasilien als Löw-Befürworter. Der Multi-Funktionär und frühere Schalker Finanzvorstand ist zudem ein Vertreter des Profilagers. Aus der Bundesliga aber waren keine Rufe zu vernehmen, ein halbes Jahr vor der EM den Nationaltrainer auszuwechseln. Nicht nur beim FC Bayern oder bei RB Leipzig haben sie es sehr geschätzt, dass Löw im eng getakteten Corona-Spielplan ihre Topkräfte - auch zum eigenen Nachteil - in mehreren Herbst-Länderspielen pausieren ließ.
Löw raus? Die Frage nach einer Übergangslösung bis zur EM wäre auch kompliziert. Der Name von U21-Auswahlcoach Stefan Kuntz war da mal zu hören. In der turnusmäßigen DFB-Präsidiumssitzung am Freitag (10.00 Uhr) ist die Nationalelf einer von zahlreichen Tagesordnungspunkten. Es geht dann auch um den Rahmenterminplan für die Saison 2021/22. Bierhoff soll den Funktionären nicht nur das Spanien-Desaster erklären, sondern die Gesamtentwicklung der Nationalmannschaft.
Löw sah diese - wohlgemerkt am Tag vor dem Spanien-Spiel - positiv. »Wenn jeder gesund ist, ist unsere Mannschaft, auch wenn sie jung und unerfahren ist, absolut gefährlich«, sagte er in Sevilla. Das Spiel gegen Spanien bewertet(e) er als einen punktuellen Systemabsturz.
Unabhängig von einem gültigen DFB-Vertrag bis nach der WM 2022 in Katar will Löw sicherlich nicht mit einer 0:6-Niederlage abtreten. Ein stressiger Job als Vereinstrainer reizt ihn nicht mehr. Mit 60 fühlt er sich zugleich zu jung für den Ruhestand. Bei den Fans sind die Beliebtheitswerte des für sie unnahbar und irgendwie auch fremd gebliebenen Bundestrainers rapide gesunken. Aber intern glauben immer noch etliche, dass er sich noch einmal straffen kann und einen klaren EM-Plan verfolgt. DFB-Boss Keller hat mit der Zielvorgabe Halbfinale das Richtmaß für Löws viertes EM-Turnier eh sehr hoch angesetzt.
»Es ist immer von einem Turnier abhängig, wie es weitergeht«, sagte Löw auch noch am Tag vor seiner mit Abstand höchsten Niederlage in 189 Länderspielen als Bundestrainer. Wie er die Turnierchance 2021 nutzen will, davon muss er aber schon sechs Monate vor dem EM-Auftakt gegen die starken Franzosen DFB-Chef Keller und Kollegen überzeugen. (dpa)