LENZERHEIDE. Es braucht für diese Szene keine künstlichen Blitze. Ehe die Sonnenstrahlen hinter den Bergen verschwinden, liefern sie noch die perfekte Kulisse, um diese fröhlichen Wesen ins rechte Licht zu rücken. Umgeben von allen Teammitgliedern, die kleine Deutschland-Fähnchen schwenken, schreien Selina Grotian, Franziska Preuß, Philipp Nawrath und Justus Strelow ihre Freude in die warme Bündner Bergluft.
Grund für ihre Leichtigkeit ist das wertvolle Accessoire, das sie um ihren Hals tragen: Bronzemedaillen. Ein schöner Lohn für schwere Arbeit in tiefem Schnee in der Mixed-Staffel von Lenzerheide. »Wir haben die erste Medaille eingefahren. Es ist immer gut fürs Team, wenn es gleich so losgeht«, sagt Justus Strelow über seinen Erstling bei einer WM. »Da fällt ein Stück weit der Druck ab, klar werden auch Medaillen von uns erwartet. Hoffentlich sammeln wir noch ein paar ein.«
Justus Strelow hat am Mittwochnachmittag gelitten, ehe er sein bronzelegiertes Edelmetall erhält, besonders in der letzten seiner drei Schleifen. Weil die Verantwortlichen um Cheftrainer Uros Velepec ahnen, dass in dem hart umkämpften Format des gemischten Doppels nur besteht, wer riskiert, präsentieren sie Justus Strelow als Schlussläufer. Die Strategie geht auf – zittern inklusive. Der Sachse ist der zuverlässigste Schütze der vergangenen Saison, 94 Prozent Trefferquote hat vor ihm noch keiner geschafft. In Lenzerheide bleibt er zweimal fehlerfrei. Dass er obendrein zu den Schnellschützen zählt, beweist der 28-Jährige gleichermaßen.
Tschechien überrascht
Auftrag erfüllt, doch auf den letzten zwei Kilometern überholt der Tscheche Michal Krcmar den Deutschen noch und feiert Überraschungs-Silber mit einem Brunftschrei, auch Olympiasieger Johannes Thinges Bö skatet im Eiltempo ran. »Das wünsche ich niemandem, dass er das erleben muss«, sagt Justus Strelow, der ob der neuen Position beim Einlaufen »so weiche Knie wie noch nie« registriert.
Ende gut, alles gut. Auch, weil die Konkurrenz patzt. Vorneweg zieht Frankreichs Gold-Quartett einsam seine Schleifen, nachdem Mitfavorit Norwegen in Persona Ingrid Landmark Tandrevold als Startläuferin nach zwei Strafrunden früh alle Chancen verballert hat. Auch die Schwedin Hanna Öberg läuft eine zeitfressende Extrarunde.
Reichlich Nervenkitzel. Auch bei Sportdirektor Felix Bitterling. »Wir haben die Medaille«, sagt er, »das ist uns seit 2019 nicht mehr gelungen.« Dieses erhebende Gefühl, zu den Auserwählten fürs Podium zu gehören, weiß auch Franziska Preuß »voll zu schätzen«, wie sie sagt.
Die 30-Jährige führt den Gesamtweltcup an. Das weckt Begehrlichkeiten. Nicht nur daher »ordne ich die Medaille schon sehr hoch ein«. Nur ob ihr die Pause zwischen dem Weltcup in Antholz und dem Saisonhöhepunkt in der Schweiz nichts vom Flow genommen hat, das kann Preuß noch nicht so recht einschätzen. Zu sehr haben die tiefen Bedingungen das wahre Kräfteverhältnis verfälscht. Offensichtlich aber ist, dass ihre Gegenspielerin im Gesamtweltcup, Lou Jeanmonnot, brilliert.
Strelow im Ziel jubelnd zu begrüßen, gefällt Selina Grotian, denn: »Zuschauen ist viel schlimmer«, sagt die 20-Jährige. Ihre Erkenntnis: Sie kann auch Startläuferin. Weil ihre Stärken jene Attribute sind, die im hektischen Gewusel einer Mixed-Staffel obenan stehen: Ruhe bewahren. Nun hat auch das junge Talent, das sich unentbehrlich gemacht hat, die Gewissheit, dieser Herausforderung gewachsen zu sein. »Das bringt mir viel Erfahrung für die nächsten Jahre.« An Routine mangelt es Philipp Nawrath nicht. Am Tag vor seinem 32. Geburtstag macht er sich das schönste Geschenk: die erste WM-Medaille. »Die Emotionen sind Wahnsinn«, sagt der Allgäuer.
Gasparin blickt zurück
Mit Olympischen Spielen ist die Eröffnungsfeier einer Biathlon-Weltmeisterschaft selbstredend nicht vergleichbar, dennoch ist im Ortszentrum von Lenzerheide ordentlich was los gewesen. Zunächst haben Schulkinder ein Medley aus Schweizer Liedern gesungen, während die Flaggen aller 34 Nationen präsentiert worden sind. Persönliche Einblicke hat Selina Gasparin, die Schweizer Biathlon-Pionierin, gewährt, die bei den Winterspielen in Sotschi 2014 mit Silber die erste Biathlon-Medaille für ihr Heimatland gewonnen hat. (GEA)