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Aktuell INTERVIEW

»In uns steckt enorm viel Wucht«

Bundestrainer Christian Wück spricht über die Rolle von Social Media und die Form seiner Fußballerinnen

Bundestrainer Christian Wück sieht seine Frauen um Kapitänin Giulia Gwinn in einer guten Verfassung für die bevorstehenden Aufga
Bundestrainer Christian Wück sieht seine Frauen um Kapitänin Giulia Gwinn in einer guten Verfassung für die bevorstehenden Aufgaben. FOTO: GROOTHUIS/WITTERS
Bundestrainer Christian Wück sieht seine Frauen um Kapitänin Giulia Gwinn in einer guten Verfassung für die bevorstehenden Aufgaben. FOTO: GROOTHUIS/WITTERS

ZÜRICH. Es geht in die heiße Phase. Christian Wück bestreitet mit der EM in der Schweiz (2. bis 27. Juli) sein erstes Turnier als Bundestrainer der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Im Interview spricht er über seine eigene Spielerlaufbahn, was sich seitdem verändert hat und weshalb Hansi Flick eine wichtige Rolle für seine Fußballidee spielt. GEA: Herr Wück, Sie waren noch keine 18 Jahre alt, als Sie in der Fußball-Bundesliga beim 1. FC Nürnberg für Furore gesorgt haben. Wie denken Sie an diese Zeit zurück?

Christian Wück: Eigentlich war das meine schönste Zeit. Einfach unbekümmert, unbeschwert Fußball zu spielen. Vielleicht noch gar nicht zu begreifen, was damals alles passiert ist. Es war auch meine erfolgreichste Zeit, weil ich da noch keine Verletzungen hatte. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an meine ersten beiden Jahre beim Club denke. Wir haben als letzte Mannschaft beim FC Bayern in der Bundesliga gewonnen. Jedesmal, wenn sich dieses Ereignis jährt, bekomme ich oft noch von der Nürnberger Presse einen Anruf (lacht).

In ihren Anfängen hatte Deutschland gerade die Wiedervereinigung vollzogen.

Wück: Richtig. Nachdem ich in Köln eingewechselt wurde, ging es für mich in Rostock richtig los. Wir haben in einem Hotel übernachtet, das vorher von der Stasi genutzt wurde. Ich habe damals auf dem Bett gelegen und gedacht: Hoffentlich sind die Kameras und Mikrofone hier raus!

 

»Mein erstes Gehalt, das kann ich ja heute sagen, hat damals 2.000 Mark betragen«

 

Sie sollen früh Angebote von Bayern München und Borussia Dortmund erhalten haben.

Wück: Ja, ich war sogar schon bei einem Verein vor Ort. Mein Trainer Willi Entenmann, zu dem ich ein väterliches Verhältnis hatte, war damals der Hauptgrund, dass ich beim 1. FC Nürnberg geblieben bin. Mein erstes Gehalt, das kann ich ja heute sagen, hat damals 2.000 Mark betragen. Ich habe danach einiges miterlebt: Über Nacht wurde Dieter Eckstein zum FC Schalke 04 verkauft, es gab den Schiedsrichterskandal, der Schatzmeister musste ins Gefängnis.

Sie haben sich als erster deutscher Profifußballer einen Meniskus transplantieren lassen. Hält der eigentlich noch?

Wück: Ja, der ist immer noch drin. Ich hatte mir damals einen Kreuzband-, Innenband- und Meniskusriss zugezogen, und ein Teil vom Außenmeniskus war nicht mehr zu retten. Nach zweieinhalb Jahren schwoll mein Knie immer wieder an, und bei einer Arthroskopie hat man einen Knorpelschaden vierten, fünften Grades festgestellt. Nach einer Kontroll-Operation sagte der Arzt zu mir, ich müsse mit Fußballspielen aufhören. Ich habe erst das Heulen angefangen und dann am nächsten Tag gesagt: »Doc, ich bin 25. Ich will weiter Fußball spielen. Überleg Dir bitte was!« Für die Transplantation bin ich nach Belgien gefahren.

Heute sind Fußballer und Fußballerinnen im Grunde ohnehin gläserne Figuren, weil durch Social Media vieles präsent geworden ist, oder?

Wück: Weil man es freiwillig so will (macht eine lange Pause). Es ist alles schnelllebig geworden. Es wird (auf dem Handy, Anm. d. Red.) häufig nur noch nach rechts gewischt. Eine kurze Information aufnehmen, dann die nächste. Man nutzt mittlerweile diese Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren. Zu meiner Zeit als Spieler hat dieser Punkt keine Rolle gespielt.

Bereuen Sie das eigentlich?

Wück: Das war eine andere Zeit – heute gehört es zur Vermarktung dazu. Wobei ich das Gefühl habe, dass unsere Spielerinnen sehr verantwortungsvoll mit dem Medium Social Media umgehen.

»Sportlich vermittele ich die gleichen Inhalte wie im Männerbereich«

 

Die frühere Nationaltorhüterin Almuth Schult hat angemerkt, dass einige Nationalspielerinnen mit Social Media mehr Geld verdienen als in ihren Clubs. Das Wetteifern um Aufmerksamkeit kann auch Missgunst produzieren. Steuern Sie dagegen?

Wück: Ich kann nur für meine Mannschaft reden und da habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass Missgunst entsteht. Ich habe nicht den Einblick, was die Nationalspielerinnen über solche Aktivitäten verdienen, aber diese Möglichkeit für die eigene Vermarktung und Sichtbarkeit zu nutzen, ist völlig legitim, sofern die Balance stimmt. Natürlich ist die Präsenz der Sozialen Medien in allen Lebensbereichen ein großer Unterschied zu früher. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Ich hatte mal ein einschneidendes Erlebnis mit einer U 17-Nationalmannschaft bei einer Medienschulung: Auf die Frage, welche Medien sie denn kennen würden, wurden nicht Zeitungen, Fernsehen oder Radio genannt, sondern Instagram, Youtube oder Facebook.

Sie haben mehr als zehn Jahre im männlichen Nachwuchsbereich für den DFB gearbeitet. Was ist die größte Umstellung bei den Frauen gewesen?

Wück: Die Zeit, die ich für mediale Aktivitäten investieren muss. Im Jugendbereich habe ich vielleicht während der Turniere mal ein Telefoninterview gegeben, und dann stand eventuell ein Artikel im Kicker. Deshalb muss ich mir meine Zeit jetzt anders einteilen. Sportlich vermittele ich bei den Frauen die gleichen Inhalte wie bei den U-Nationalmannschaften im Männerbereich.

Sie betonen gerne, dass Sie sich am Spielstil orientieren, den Hansi Flick mal in seiner Zeit als DFB-Sportdirektor gelehrt hat. Warum?

Wück: Hansi Flick hat das damals in Zusammenarbeit mit uns U-Nationaltrainern angestoßen und entwickelt. Alle haben Input reingegeben, weshalb diese Leitlinien aus meiner Sicht auch so wertvoll sind. Wir haben uns irgendwann mit einem weißen Blatt hingesetzt, um herauszufinden, was einen Lionel Messi oder Toni Kroos auf einer bestimmten Position so wertvoll macht. Aus dem individuellen Verhalten lassen sich Trainingsinhalte ableiten. Aus meiner Sicht arbeitet Hansi in Barcelona sehr erfolgreich immer noch danach. Wir Trainer beim DFB stehen hinter dem selbst erarbeiteten Ansatz.

Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Wück: Eher wenig. Ich gratuliere ihm zum Geburtstag und er mir.

Wie leicht ist das auf den Frauenfußball zu übertragen?

Wück: Wir müssen dran bleiben und das immer wieder ansprechen und Inhalte vermitteln. Ich nehme es wirklich sehr genau und bin sehr konsequent: Wenn ein Pass nicht ordentlich gespielt wird, unterbreche ich die Szene. Wir haben mit den besten Spielerinnen des Landes ein Topniveau im Training und arbeiten intensiv an diesen Themen, um sie individuell zu verbessern.

Wo steht ihr Team gerade? Die DFB-Frauen kamen als EM-Heldinnen 2022 aus England zurück. Nur ein Jahr später ging unter Martina Voss-Tecklenburg bei der WM in Australien nichts mehr zusammen. Horst Hrubesch holte bei den Olympischen Spielen 2024 dann zwar Bronze, aber wirklich sehenswert waren die Auftritte nicht.

Wück: Die Trainer und Trainerinnen sind dafür da, eine Atmosphäre zu erzeugen, damit die Spielerinnen ihre Topleistung abrufen können. Wir brauchen die Überzeugung, dass wir selbst für das Ergebnis eines Spiels verantwortlich sind, nicht die anderen Mannschaften. Wenn wir an unser Limit gehen, hat es jeder Gegner der Welt gegen uns schwer. In unserer Mannschaft steckt – defensiv wie offensiv – enorm viel Wucht und Intensität, die bereits im ersten EM-Spiel gegen Polen sichtbar werden muss.

»Das Ziel ist, dass wir die Leute über begeisternden, ehrlichen Fußball hinter uns bekommen«

 

Ist es kein Nachteil, dass das letzte Spiel inzwischen schon vier Wochen zurückliegt?

Wück: Wir wollten kein Testspiel mehr in der Vorbereitungsphase haben. Die Rückmeldungen der Spielerinnen waren so, dass die Saison sehr lang war. Wir haben schon zweimal Elf gegen Elf gespielt, auch mit Formationen, die wir ausprobieren wollten. Wir haben diesen Wettkampfcharakter in den Spielformen.

Im Viertelfinale würde mit Frankreich, England oder Niederlande ein Schwergewicht warten. Die Männer haben vergangenen Sommer erfahren, dass ein unglücklicher Viertelfinal-K.o. selbst bei einer Heim-EM unter Umständen verziehen würde.

Wück: Das Ziel ist, dass wir die Leute über begeisternden, ehrlichen Fußball hinter uns bekommen. Wir sagen den Spielerinnen immer wieder: Ihr spielt für eine ganze Nation, ihr repräsentiert Deutschland. Die Art und Weise des Auftretens ist dabei wichtig. Daher wollen wir gleich zum Auftakt in einen Flow kommen. So wie es das Team in England im ersten Spiel (4:0 gegen Dänemark, Anm. d. Red.) geschafft hat.

Danach war die WM in Australien allerdings ein Reinfall. Auch das Quartier gefiel den Spielerinnen nicht, obwohl es einige nette Ausflüge wie zum Whale-Watching gab. Was ist diesmal geplant?

Wück: Ich glaube, da müssen wir uns keine Gedanken machen. Die Spielerinnen haben mit dem Wolfgang-Petry-Abend bewiesen, dass sie sich was einfallen lassen. Wir haben mit diesem Basecamp die Grundvoraussetzungen geschaffen, dass wir sowohl Ruhe haben als auch in der Lage sind, innerhalb von fünf Minuten in einem Café zu sitzen. Das ist den Spielerinnen wichtig. Der Trainingsplatz ist sieben bis zehn Minuten vom Hotel entfernt, von daher wird es keine Ausreden geben. Es liegt an uns, wie die EM verläuft. (GEA)

 

ZUR PERSON

Christian Wück ist seit August 2024 Bundestrainer der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft. Der 52-Jährige arbeitete zuvor viele Jahre im männlichen Nachwuchsbereich, gewann mit den U 17-Junioren 2023 sowohl die EM als auch die WM. Wegen einer Knieverletzung musste er seine aktive Karriere bereits im Alter von 29 Jahren beenden. (GEA)