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»Ich bin glücklich, es geht mir sehr gut«

Stabhochspringerin Kira Grünberg verunglückte vor zehn Jahren und sitzt seitdem im Rollstuhl

Lebte früher in Reutlingen-Altenburg und im Schafstall: Kira Grünberg. FOTO: MUSER
Lebte früher in Reutlingen-Altenburg und im Schafstall: Kira Grünberg. FOTO: MUSER
Lebte früher in Reutlingen-Altenburg und im Schafstall: Kira Grünberg. FOTO: MUSER

KEMATEN. »Ich bin glücklich, es geht mir sehr gut, ich habe ein schönes Leben.« Die ehemalige Stabhochspringerin Kira Grünberg erstaunt den Gesprächspartner mit dieser Aussage. Die 31-Jährige ist nach einem Sportunfall vor zehn Jahren querschnittsgelähmt und sitzt seitdem im Rollstuhl. Rückblende, 30 Juli 2015. Die Familie Grünberg ist beim Training in der Innsbrucker Leichtathletik-Halle. Kira, mit 4.45 Metern bis heute österreichische Rekordhalterin im Stabhochsprung, nimmt Anlauf mit dem Stab zu einem Sprung über knapp vier Meter. Trainer-Vater Frithjof steht auf der eine Seite der Matte, Mutter Karin mit der Videokamera auf der anderen. Weil ihr etwas an Geschwindigkeit fehlt, bleibt die Springerin über der Schnur »stehen« und fällt in den metallischen Einstichkasten herab. Kira Grünberg bricht sich den fünften Halswirbel. Es ist »die Stunde Null« für die Zeit langer Krankenhausaufenthalte und der Rehabilitation.

Es ist der Start in das zweite Leben der Kira Grünberg, die einst fünf Jahre in Reutlingen-Altenburg und im Schafstall lebte. »Der Unfall war eine Zäsur, ist Teil meines Lebens, er trennt mein Leben in die Zeit davor und danach«, sagt sie heute. Es war ein schwerer Schlag für die Familie und ihre sportlichen Ambitionen. Der olympische Traum war zerbrochen. »Wir sind fast in die Knie gegangen«, erinnert sich Frithjof Grünberg, »und als Trainer hat es mir das Herz gebrochen«. Doch die Familie sei nicht daran zerbrochen. Frithjof Grünberg stammt aus Pfullingen und war Stabhochspringer bei der TSG Reutlingen und dem SSV Ulm. Seine Bestleistung: 4,70 Meter.

Sportwelt leistet Hilfe

Die Zeit der medizinischen Betreuung dauerte rund zwei Jahre. Sie habe nie in ein dunkles Loch geschaut, betont sie. "Die Reha war wie ein Trainingslager, das nie hat aufhören wollen", beschreibt sie diese Zeit. "Meine Familie, mein Umfeld, meine Freunde haben mir sehr geholfen. Und auch die Sportwelt leistete psychologische Hilfe. Ex-Weltrekordler Renaud Lavillenie, Stabhochsprung-Ikone Sergej Bubka und Diskus-Olympiasieger Robert Harting meldeten sich in Innsbruck. "Schwere Verletzungen haben immer etwas mit Identitätsverlust zu tun", schrieb Harting in einem sehr persönlichen Vorwort in ihr Buch ("Mein Sprung in ein neues Leben"), "wenn sich die Amplitude der Gefühle eingependelt hat, beginnt die Suche nach dem neuen Ich".

Mit viel Kampfgeist, Optimismus, Visionen und eisernem Willen kehrte Kira Grünberg ins Leben zurück. Sie erlangte wieder die Kontrolle über Bizeps und Unterarme, konnte Aufgaben wie Essen, Zähneputzen und Schreiben erneut selbst übernehmen. Und auch Autofahren hat sie mithilfe der Schultermuskulatur wieder gelernt. »Ich dachte immer, man ist tot, wenn man sich das Genick bricht. Ich habe also Glück gehabt«, zeigt Grünberg sogar schwarzen Humor und stellte sich voller Optimismus und Tatendrang ihrem zweiten Leben. »Das Leben ist immer noch schön. Es ist jetzt halt anders«, lautet ihre Einstellung heute. Die Bedrohung durch den Unfall ist zur Herausforderung geworden.

Vater Frithjof, Mutter Karin und Schwester Britt waren die große Stützen, und auch Balu, der Hund, hat therapeutische Hilfe geleistet hat. Das Haus in Kematen (bei Innsbruck) wurde umgebaut, mit einem Aufzug, einem Therapieraum und einem großen Bad versehen.

Von der großen Anteilnahme aus Politik und Bevölkerung gab es eine Initialzündung: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz holte die ehemalige Sportlerin in die ÖVP und damit auf das politische Terrain. Grünberg wurde 2017 in den Nationalrat (Bundestag) gewählt, wo sie jetzt sieben Jahre lang für Inklusion zuständig war. Derzeit befindet sie sich in ihrer dritten Parlamentsperiode. Wochentags lebt sie in Wien, am Wochenende kehrt sie nach Hause zurück.

Große mediale Anteilnahme

Die Frau mit den langen dunkelblonden Haaren liegt mit ihrem Hund im Gras und spielt mit ihm. Wenig später sitzt sie auf der Isomatte hinterm Haus auf der Therapieterasse und macht Dehnübungen, wie zu ihrer sportlich aktiven Zeit. Sie wird dazu vom Rollstuhl auf den Boden gelegt. Die mediale Anteilnahme war riesengroß: über 100 Zeitungen und 15 TV-Sender haben sich dem Schicksal von Kira Grünberg angenommen. »Ich habe in den vielen Gesprächen und Interviews meinen Unfall besser verarbeiten können«, sagt sie im Rückblick. Sie wurde zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten Österreichs.

»Kira ist das Vorbild, das ihr Schicksal angenommen und aus den Fragmenten ihres früheren Daseins ein neues, tolles Leben gebastelt hat«, schreibt Olympiasieger Harting im Vorwort für ihr Buch. Hoffnung statt Resignation als Lebensphilosophie. »Wie hoch hätte ich am Ende springen können?«, denkt sie gelegentlich über ihr sportliches Potenzial nach.

Am heutigen Mittwoch feiert Kira Grünberg – wie jedes Jahr an diesem Tag – ihren »life day«, den »Tag, dass man lebt«. Sie spricht von Familienplanung, von eigenen Kindern. Die zehn Jahre seit ihrem Unfall seien vergangen wie im Flug. Ihr Gesicht, ihr Lachen, strahlt große Zufriedenheit aus. (GEA)