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Aktuell Leichtathletik-WM

Höhenflug endet auf Platz fünf

Drei Hürden und ein flatternder Diskus bringen Leo Neugebauer im Zehnkampf ins Straucheln

Zufrieden mit seiner Leistung: Leo Neugebauer.  FOTO: MAYER/EIBNER
Zufrieden mit seiner Leistung: Leo Neugebauer. FOTO: MAYER/EIBNER
Zufrieden mit seiner Leistung: Leo Neugebauer. FOTO: MAYER/EIBNER

BUDAPEST. Für einen Tag war Leo Neugebauer Weltmeister im Zehnkampf. Mit 4.640 Punkten hatte er seine Leistung beim deutschen Rekord (8.836 Punkte) Anfang Juni in den USA um 49 Punkte überboten. Drei Hürden und ein flatternder Diskus brachten den 23 Jahre alten Athleten aus Stetten auf den Fildern am zweiten Tag ins Straucheln. Die Leichtigkeit und Lockerheit des ersten Tages war verflogen. Am Ende landete er auf Platz fünf mit 8.645 Punkten, seine zweitbeste Leistung in seiner Laufbahn und immer noch absolut Weltklasse.

Zum »König der Athleten« avancierte der Kanadier Pierce Lepage, der mit der Weltjahresbestleistung von 8.909 Zählern und der sechstbesten je erzielten Punktzahl triumphierte. Olympiasieger Damian Warner (Kanada) holte Silber mit 8.804 Zählern. Bronze ging an Lindon Victor (Grenada/8.756).

»Dieser Leo ist eine Kopie von Jürgen Hingsen«

»Ich hatte einen holprigen Start am zweiten Tag, bin aber dennoch sehr zufrieden mit meiner Leistung«, strahlte Neugebauer nach dem zehnstündigen »Marathon« im Stadion vor 37.000 begeisterten Zuschauern. Neugebauer sah sich als Weltjahresbester dem hochklassigsten Feld gegenüber, das der Zehnkampf je zu bieten hatte: Olympiasieger Warner, Weltrekordler Kevin Meyer (Frankreich), Ex-Weltmeister Niklas Kaul, Götzis-Sieger Lepage. Es wurde zu einem Kampf der Giganten, an dem Neugebauer als Führender nach dem ersten Tag dastand. Mit acht Metern im Weitsprung (»Das war schon immer mein großes Ziel«) und fast unfassbaren 17,04 Metern im Kugelstoßen, womit er die Konkurrenz um über einen Meter abgehängt hatte, war er gleich zu Beginn explodiert. Bei fast überschäumender Stimmung im Központ-Stadion direkt an der Donau wurden Erinnerungen wach an die WM 1993 in Stuttgart, als Paul Meier vom Publikum zur Bronzemedaille getragen wurde.

"Dieser Leo ist einzigartig", stellte Jim Garham, Zehnkampf-Coach an der erfolgreichsten Leichtahletik-Uni der USA in Austin/Texas fest. Menschlich wie sportlich sei der Deutsche "wie ein Sohn für mich". Leo the German, dieses Prädikat hatte sich der schwäbische Himmelstürmer verdient, als er im Juni in seinem Heimatstadion in Austin mit 8.836 Punkten den 39 Jahre alten deutschen Rekord von Jürgen Hingsen verbessert hatte. Das sei ein großer Profit für die Uni und die deutsche Leichtathletik, weil der DLV für sein neues Aushängeschild keinerlei Fördermittel aufbringen muss. »Dieser Leo ist eine Kopie von Jürgen Hingsen«, sagte der Ex-Weltrekordler gegenüber dieser Zeitung, und dachte dabei nicht nur an dessen sportlichen Fähigkeiten, sondern auch an die exakt selben körperlichen Voraussetzungen mit zwei Metern Körpergröße und 104 Kilo Gewicht.

Budapest wurde für Neugebauer zu einer großen Bühne, in der auch 25 Schwaben als Zuschauer an den beiden Tagen eine große Rolle spielten. Mit schwarzen T-Shirts ausgestattet feuerte der Fanclub aus Leinfelden und dem Stuttgarter Raum ihren »Leo aus Schwaben« immer wieder begeistert an. »Leo ist unser Stolz und unser Held«, war Vater Terrence Neugebauer, der einst als Fußballer aus Kamerun zu einem Probetraining nach Oldenburg kam und dort seine Frau kennenlernte. Über Görlitz landete die vierköpfige Familie mit Leo (23) und Livia (14) in Stetten auf den Fildern.

Mit sechs begann der kleine Leo bei der Spvgg Stetten mit Leichtathletik. Harald Budach war sein Entdecker und mit 17 war Neugebauer schon Dritter bei der Junioren-WM in Nairobi. Mit 20 entschied er sich für ein Sportstipendium in den USA. »Das war das Beste, was es für Leo gab«, stellte seine Mutter Diana Neugebauer aus heutiger Sicht fest, »sowohl für seine sportliche Entwicklung als auch seine Persönlichkeitsentwicklung«. Die persönliche Beziehung innerhalb der Familie sei durch den USA-Aufenthalt sogar größer geworden, obwohl er nur zweimal im Jahr nach Hause komme. »Leo ist ein bodenständiger, sehr sozialer Mensch«, betont die Sozialpädagogin.

»Leo ist ein bodenständiger, sehr sozialer Mensch«

Wesentlich seien die Finanzen. Das Stipendium in Austin beläuft sich auf 50.000 Dollar, die Hälfte für Studiengebühren, medizinische Versorgung, die andere für Appartement, Verpflegung und die üppige Ausrüstung. Simon Stützel, der Leo Neugebauer mit seiner Agentur 2020 wie viele andere in die USA brachte, nennt noch einen anderen wesentlichen Grund. "Die Sportler kommen nach ihrem USA-Aufenthalt mit einem abgeschlossenen Studium zurück und können dann hier beruflich durchstarten. Im Gegensatz dazu kämpfen sich viele deutschen Athleten ohne Absicherung mit wenig Fördermitteln alternativ mit Leistungsport oder Ausbildung durch.

»Go Leo go«, Vater Terrence schrie sich die Stimme aus dem Hals, bis sie versagte und pushte so den Filder-Fanclub auch medienwirksam nach vorne. »Ich habe Leo als kleinen Jungen schon bei Wettkämpfen erlebt und dann hier in Budapest, das ist einfach großartig«, war Trainerin Sabine aus Schmiden über Leos Entwicklung begeistert.

Mit Schwächen im Speer und im 1.500-Meter-Lauf blieb Neugebauer am Ende 191 Punkte unter seinem deutschen Rekord, 111 Punkte fehlten zu Bronze. »Es hätte schon eine Medaille sein dürfen, es war für mich dennoch ein magischer Wettkampf«, stellte der Zehnkampf-Hüne am gestrigen Sonntagmorgen fest. »Es war sehr cool, ich muss noch cooler bleiben«, nimmt er von der Donau mit an den Neckar. Zum Ausspannen fährt er mit seiner Mutter Diana und Schwester Livia bis Freitag an den Balaton. Für Samstag hat der Jungstar eine Einladung ins ZDF-Sportstudio erhalten, bevor er am Sonntag in die USA zurückfliegt. (GEA)