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Aktuell Botschaften

Großereignisse als politische Bühne im Sport

Kapitänsbinden sorgen für Zündstoff. Zwei Boykott-Spiele. Black Power 1968 in Mexico-City - im Sport wurden schon häufig politische Botschaften formuliert.

Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft halten sich vor einem WM-Spiel in Katar ihre Hände vor die Münder als Protest gegen Restriktionen der Fifa und als Zeichen für Menschenrechte Foto: Tim Groothuis/dpa
Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft halten sich vor einem WM-Spiel in Katar ihre Hände vor die Münder als Protest gegen Restriktionen der Fifa und als Zeichen für Menschenrechte
Foto: Tim Groothuis/dpa

REUTLINGEN. Das Verhältnis von Sport und Politik hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Während lange Zeit gefordert wurde, der Sport dürfe und solle keine politische Einflussnahme haben, zeichnet sich immer mehr ab, dass das Beziehungsgeflecht von Sport und Politik neu verhandelt wird. Eine zentrale Rolle kommt dabei Sportgroßereignissen zu, die immer häufiger zur politischen Bühne werden.

Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar: Die deutsche Nationalmannschaft setzte vor ihrem Auftaktspiel gegen Japan ein Zeichen des Protests. Die Spieler um Kapitän Manuel Neuer hielten sich beim obligatorischen Teamfoto vor dem Anpfiff die Münder zu. Die deutsche Mannschaft setzte damit ein Zeichen gegen den Fußball-Weltverband Fifa und dessen Verbotspolitik. Neuer und sechs weitere Kapitäne von europäischen Teams wollten sich nämlich ursprünglich die »One-Love«-Binde überstreifen. Die Fifa hatte etwas dagegen. Neuer trug stattdessen die von der Fifa vorgegebene »No Discrimination«-Binde, die gegen Diskriminierung jeder Art stehen soll. Die Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) teilten dazu mit: »Wir wollten mit unserer Kapitänsbinde ein Zeichen setzen für Werte, die wir in der Nationalmannschaft leben: Vielfalt und gegenseitiger Respekt.« Und weiter: »Es geht dabei nicht um eine politische Botschaft. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.« Die damalige deutsche Innenministerin Nancy Faeser zeigte übrigens Flagge: Sie streifte sich auf der Tribüne vor dem Spiel gegen Japan die »One Love«-Binde über.

Fifa macht bei Frauen-WM Zugeständnisse

Bei der WM der Frauen im Juli 2023 in Australien machte die Fifa Zugeständnisse. Anders als bei den Welt-Titelkämpfen der Männer waren mehrfarbige Kapitänsbinden im Stil der »One Love«-Binde erlaubt. Zwar keine mit klassischen Regenbogenfarben, aber verschiedene Armbinden mit Botschaften zu gesellschaftlichen Themen. Die deutsche Mannschaftsführerin Alexandra Popp streifte sich eine Binde über, mit der auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht werden sollte.

Alexandra Popp  trägt eine mehrfarbige Kapitänsbinde.
Alexandra Popp trägt eine mehrfarbige Kapitänsbinde. Foto: Eibner-Pressefoto/Memmler
Alexandra Popp trägt eine mehrfarbige Kapitänsbinde.
Foto: Eibner-Pressefoto/Memmler

NS-Propaganda 1936

Historisch betrachtet war der Sport nie so unpolitisch, wie es bisweilen dargestellt wird. Bereits die antiken Olympischen Spiele boten ein Forum für politische Verhandlungen. Im 20. Jahrhundert markierten die Olympischen Spiele 1936 in Berlin einen Höhepunkt der Inanspruchnahme eines Sportgroßereignisses durch die Politik. Die NS-Propaganda wollte Deutschland als überlegene Großmacht inszenieren. Berlin hatte 1931 den Zuschlag erhalten, zwei Jahre vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Im Jahr 1933 kamen bei einer Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) angesichts der offensichtlichen Brutalität des NS-Regimes Zweifel an der Entscheidung auf, die Olympischen Spiele in Deutschland stattfinden zu lassen. Die Nürnberger Rassengesetze und die Konzentrationslager, in denen Regimegegner ermordet wurden, standen in der Kritik. Mit den Zielen der Olympischen Spiele – Völkerverständigung und Weltfrieden – hatte die neue deutsche Regierung nachweislich nichts gemeinsam. Es gab viele Befürworter eines Boykotts der Veranstaltung in Berlin. Das war auch dem NS-Regime nicht entgangen: Um das internationale Ansehen nicht weiter zu beschädigen, verzichtete es während der Spiele auf anti-jüdische Aktionen. Schilder, die Juden das Betreten von öffentlichen Gebäuden untersagten, wurden für die Zeitspanne der Spiele entfernt.

Jesse Owens der Star der Spiele

Deutschland wurde 1936 mit 33 Goldmedaillen Erster im Medaillenspiegel, gefolgt von den USA mit 24 goldenen Plaketten. Die Leistungen der deutschen Olympioniken nutzte das Regime für Propagandazwecke, als außenpolitisches Zeichen der »Überlegenheit« Deutschlands. Doch zum Star der Spiele wurde – zum Ärger der Nationalsozialisten – der schwarze Amerikaner Jesse Owens. Der Student aus Ohio siegte über 100, 200 und 4 x 100 Meter sowie im Weitsprung.

Die Olympischen Sommer-Veranstaltungen 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles gehen als Boykottspiele in die Geschichte ein. 1984, als 19 sozialistische Staaten nicht am Start waren, gab es im Diskuswurf folgendes Kuriosum: Von den acht Finalisten war nur ein Werfer dabei, der 1983 das Finale der WM in Helsinki erreicht hatte. Zum großen Profiteur wurde Rolf Danneberg. Der 31 Jahre alte Pinneberger hatte international bis dahin nichts gewonnen – in Los Angeles holte er Gold. Vier Jahre zuvor war der Zehnkämpfer Guido Kratschmer ein Leidtragender. Der damals 27 Jahre alte Mainzer galt als hoher Favorit. »Ich habe mich total schlecht gefühlt. Es waren die Olympischen Spiele, die ich unbedingt gewinnen wollte – und konnte«, sagte Kratschmer später in einem Kicker-Interview.

Smith und Carlos lösen einen Skandal aus

Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-City setzten Tommie Smith und John Carlos ein Zeichen, das ihr Leben prägen sollte. Sie stehen bis heute dazu. Smith reckt bei der Siegerehrung nach dem 200-Meter-Rennen seinen rechten Arm in die Luft, John Carlos den linken – die Hände im schwarzen Handschuh zur Faust geballt. Beide senken den Kopf. Ohne Schuhe, nur in schwarzen Socken, stehen die US-Sprinter auf dem Siegerpodest, während ihre Hymne gespielt wird. Die Bilder gehen um die Welt. Und in der Heimat löst ihr stiller Protest bei den Olympischen Spielen 1968 einen Skandal aus.

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Ob mit Regenbogen-Kapitänsbinden oder Plakaten: Athleten und Fans nutzen Sportgroßereignisse immer häufiger als politische Bühne.

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»Wir mussten etwas tun, um vorwärtszukommen«, erklärte Smith. Dafür wollten er und Carlos die Bühne der Olympischen Spiele nutzen, die erstmals global im Fernsehen übertragen wurden – eine Reichweite, die es zuvor nicht gegeben hatte. Ihre Inszenierung war bis ins kleinste Detail geplant: Die in die Höhe gestreckte Faust galt als Zeichen der Black-Power-Bewegung. Die schwarzen Socken symbolisierten die Armut der schwarzen Bevölkerung.

Auch Kaepernick erfährt Anfeindungen

Smith und Carlos setzten Zeichen gegen Diskriminierung und Rassenhass in den USA, bekamen aber den geballten Zorn des Establishments zu spüren. Beide kämpften nach ihrer Rückkehr in die USA um ihre Existenz und bekamen nur schwer wieder Boden unter den Füßen.

Der Kampf gegen die Rassendiskriminierung in den USA geht bis heute weiter. Der ehemalige Football-Star Colin Kaepernick sah sich nach seinem Kniefall-Protest 2016 ähnlichen Anfeindungen ausgesetzt.

Sport bewegt sich in einem Dreieck der »M«

Simon Engel, ein Historiker aus der Schweiz, sprach davon, dass sich der Sport in einem Dreieck der »M« bewegt. Masse – im Sinne von Zuschauerinteresse und entsprechendem medialem Interesse; Märkte – also wirtschaftliche Interessen; Macht – im Sinne gesellschaftlicher sowie politischer Interessen. Die Masse ist in diesem Dreieck die Basis für die beiden anderen »M«. Denn Masse ist das, was politische Player brauchen, um sich präsentieren zu können. Der Sport ist auch deshalb ideal, weil er vordergründig als sportlicher Wettkampf und nicht als politische Veranstaltung wahrgenommen wird. (GEA)