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Europapokal: Risikoreisen quer über den Kontinent

Der Europapokal startet aus der Winterpause. Nur nicht wie gewohnt. Wegen der Corona-Pandemie müssen Spiele verlegt werden. Sinn macht das mit Blick auf die Inzidenzzahlen nur bedingt. Betroffen sind bislang drei Bundesligisten.

BERLIN. Begleitet von harscher Kritik startet der Profifußball in das heikle Experiment etlicher Europapokalpartien in Risikogebieten.

Entgegen der Reisewarnung durch die Politik fallen auch für RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach zusätzliche Flüge an - knapp ein Drittel der ersten K.o.-Spiele in Champions League und Europa League ist wegen unterschiedlicher Corona-Beschränkungen an neutrale Orte verlegt worden. Die Stimmung scheint inzwischen gereizter, nun ging Bayern-Trainer Hansi Flick in die Offensive.

Die Kritik mancher Politiker sei »weit an dem Thema vorbei, welche Aufgabe sie aktuell haben in der Politik: Wirklich gemeinsam daran zu arbeiten, dass es irgendwann mal wieder zur Normalität kommt«, sagte Flick, der am 23. Februar zum Achtelfinal-Hinspiel bislang noch wie geplant bei Lazio Rom antreten darf. Leipzig muss gegen den englischen Meister FC Liverpool am Dienstag (21.00 Uhr/Sky) in Budapest antreten. »Wir sind froh, dass wir überhaupt spielen dürfen«, sagte Trainer Julian Nagelsmann.

Die deutschen Behörden hatten der Mannschaft von Jürgen Klopp die Einreise aus dem Hochrisikoland Großbritannien verweigert. In Ungarn ist das anders. Der EM-Gastgeber richtet auch das Achtelfinal-Hinspiel von Borussia Mönchengladbach gegen Manchester City am 24. Februar aus. Ungarn gilt beim Robert Koch-Institut weiterhin als Risikogebiet, aber nicht als Land, in dem die neuen Corona-Mutationen gefährlich oft auftreten.

»Niemand weiß genau, wie die Infektionslage in Ungarn wirklich ist«, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im »Sport1«-Interview. »Und dass Spieler aus UK ausreisen dürfen für ein solches Spiel, ist auch falsch. Es ist ein verzerrter Wettbewerb, der zur Pandemiemüdigkeit beiträgt, weil er die Glaubwürdigkeit unserer Regeln in Frage stellt.«

Flick äußerte, »die sogenannten Experten, die Politik« sollten sich zusammensetzen und »wirklich mal eine Strategie entwickeln, dass man irgendwann mal wieder Licht im Tunnel sieht«. Das sei aktuell zu wenig, »gerade für die Bevölkerung, für die Bürger, die nicht in der Situation sind wie wir Fußballer«. Es müsse mal »was Positives« verkündet werden. Epidemiologe Lauterbach konterte am Sonntag via Twitter: »'Sogenannte Experten' äußern sich, weil Journalisten sie um Einschätzung bitten. Wenn Hansi Flick anderer Meinung ist, soll er einfach seine Argumente bringen. Dafür muss er nicht Experte sein. Auch andere Argumente zählen.«

Die Europäische Fußball-Union ist gezwungen, insbesondere den millionenschweren Premiumwettbewerb Champions League durchzudrücken. Verantwortlich für die Ausrichtung der Partien sind die gastgebenden Vereine. Hätte Leipzig sich für Dienstag nicht um einen Ausweichort bemüht, wäre das Hinspiel mit 3:0 für Liverpool gewertet worden - der sportliche Wert der Königsklasse wäre dahin. »Besondere Umstände bedürfen besondere Maßnahmen«, sagte Nagelsmann. »Es ist jetzt kein Zeitpunkt, um sich zu beklagen.«

Das Risiko von Corona-Ausbrüchen kann nur minimiert, nicht beseitigt werden. Die Bayern hatten unter strengen Hygienemaßnahmen die Club-WM in Katar gewonnen. Ex-Nationalspieler Thomas Müller musste im Anschluss mit Corona-Infektion von der Mannschaft getrennt in einer Ambulanzmaschine nach Hause geflogen werden.

»Der Profifußball und auch andere Sportarten leben offensichtlich in einem anderen Kosmos, in dem Rücksichtnahme ein Fremdwort ist«, kritisierte Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestages, im Deutschlandfunk. Die Politik könne Wettbewerbe aber nicht verbieten. »Politik kommt dann ins Spiel, wenn es darum geht, Einreisen möglicherweise zu unterbinden. Aber es ist natürlich nicht möglich, deutschen Staatsbürgern die Reise nach Budapest zu verbieten«, sagte Freitag.

Das Zwischenrunden-Hinspiel der TSG 1899 Hoffenheim gegen Molde FK in der Europa League wird wegen der strikten Einreise-
Beschränkungen in Norwegen am Donnerstag (21.00 Uhr) im Stadion des FC Villarreal stattfinden. Spanien ist vom RKI als Hochinzidenzgebiet eingestuft, Norwegen nicht. »Im Endeffekt ist es so, dass wir in einer Blase leben. Trotzdem kann ich diese moralische Debatte nachvollziehen«, sagte TSG-Trainer Sebastian Hoeneß. »Wir werden das so demütig wie möglich angehen.«

Welche Schritte die UEFA zur Fortführung des Europapokals noch unternehmen muss, hängt stark von der Pandemielage ab. Finalturniere wie im vergangenen Sommer, als der FC Bayern in Lissabon triumphierte und in Nordrhein-Westfalen Europa League gespielt wurde, sind derzeit nicht geplant. Auszuschließen sind sie aber nicht. Viertelfinale und Halbfinale sind für April und Anfang Mai angesetzt. Stand jetzt finden die Endspiele aber am 26. Mai in Danzig (Europa League) und 29. Mai in Istanbul (Champions League) statt. Keine zwei Wochen später startet die EM - derzeit geplant in zwölf Ländern. (dpa)

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Sport1-Interview mit Karl Lauterbach

Aussagen Dagmar Freitag im Deutschlandfunk

Informationen des Robert Koch-Instituts zu den Risikogebieten

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