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Ein Blick hinter die Kulissen: Wie arbeitet ein Fußball-Kommentator?

Der GEA durfte bei Fußball-Kommentator Joachim Hebel und Sky in München exklusiv hinter die Kulissen blicken, um mehr über den Traumjob vieler Fans zu erfahren.

Voll fokussiert: Joachim Hebel in der Kommentatoren-Box.
Voll fokussiert: Joachim Hebel in der Kommentatoren-Box. Foto: Maximilian Ott
Voll fokussiert: Joachim Hebel in der Kommentatoren-Box.
Foto: Maximilian Ott

MÜNCHEN. Es ist ein nasskalter und ungemütlicher November-Samstag in München. Ein Tag, der für Fußball-Fans aber wie gemacht scheint, um seinen Liebsten mal wieder eine schlüssige Ausrede aufzutischen, den Nachmittag des schlechten Wetters wegen doch am besten auf dem Sofa und vor dem Fernseher zu verbringen. Schließlich hat die schönste Nebensache der Welt an diesem Tag einiges zu bieten. Zum Beispiel die Begegnung zwischen Newcastle United und dem FC Arsenal. Ein Duell mit reichlich Tradition und gleichzeitig ein echter Leckerbissen zweier Top-Teams in der englischen Premier League. Das kann man sich geben.

Das findet auch Joachim Hebel. Besser gesagt: Es ist sein Job, die Zuschauer vor den TV-Bildschirmen durch dieses Spitzenspiel zu führen. Der gebürtige Burghauser arbeitet als Fußball-Kommentator für den Sender Sky und Streamingdienst Dazn. Seine Stimme hat sich bei vielen Fans längst im Gedächtnis eingebrannt. Nicht immer positiver Natur, wie Hebel berichtet. »Es gibt immer Leute, die sagen: Ich kann den nicht hören. Letztens hat mir jemand geschrieben: Du bist behindert, werde Müllmann. Solche Kommentare wird es immer geben. Das ist leider so. Damit muss man klarkommen.«

Hass im Netz soll jedoch nicht das bestimmende Thema dieses Artikels sein. Der GEA war in München vielmehr vor Ort, um dem 38-Jährigen über die Schultern zu schauen, exklusiv hinter die Kulissen zu blicken, um mehr über den Traumjob vieler Fußball-Fans zu erfahren.

»Wir sind wie die Schiedsrichter. Du kannst nicht gewinnen«

»Wir sind wie die Schiedsrichter. Du kannst nicht gewinnen«, witzelt Hebel in den Gängen des Sky-Studios in Unterföhring auf dem Weg in seine Kommentatoren-Box. Etwas mehr als 60 Minuten liegt der Anpfiff noch entfernt. »Die Stunde vor dem Spiel ist heilig«, betont er. Denn in dieser Phase trudeln die Aufstellungen ein. »Mit Willock bei Newcastle habe ich nicht gerechnet, jetzt spielt er aber plötzlich«, sagt Hebel und fügt hinzu: »Da kann man manchmal kurz blöd da stehen. Aber meistens hat man es dann trotzdem ziemlich schnell.«

Das liegt vor allem daran, weil Hebel – dessen Bruder Uli ebenfalls in diesem Job unterwegs ist und das Champions-League-Finale 2023 für Dazn kommentierte – rein gar nichts dem Zufall überlässt. »Es gibt den schönen Satz: Um etwas aus dem Ärmel zu zaubern, musst du erst einmal etwas reingetan haben«, zitiert er und ergänzt: »Zu viel Vorbereitung gibt es nicht. Du kannst nie zu klug sein.« Mit anderen Worten: Die öffentlichwirksame Performance am Mikro ist nichts anderes, als das Ergebnis der eigentlichen Arbeit unter der Woche, die im Verborgenen bleibt. Mindestens sechs bis sieben Stunden würde er an Vorbereitung für eine Partie reinstecken. Wie viel Herzblut und Leidenschaft der England-Experte an den Tag legt, der gemeinsam mit seinem Bruder den offiziellen Sky-Podcast zur Premier League hostet (Klick & Rush), zeigt sich wenige Augenblicke später.

Ein Dokument, das einen förmlich erschlägt

Hebel richtet gerade seinen Kommentatoren-Platz ein und schaltet die Bildschirme an, als er ein Dokument öffnet, das einen förmlich erschlägt. »Das müssten ungefähr 35 DIN-A4-Seiten sein«, sagt er, während er sekundenlang in der Datei nach unten scrollt. Dort hat der 38-Jährige Informationen über alle Spieler von Newcastle und Arsenal zusammengetragen. Es hat etwas von einer Excel-Tabelle, in der die Akteure bis auf die kleinsten Details durchleuchtet sind. Bei Arsenals Declan Rice reichen die Infos bis in die Spalte X. Sprich: Allein über den englischen Mittelfeldspieler hat Hebel 21 verschiedene Daten, Fakten und auch Experteneinschätzungen zusammengetragen.

»Viele Dinge müssen natürlich mit der Zeit aktualisiert werden. Aber Geschichten wie: Hat in der Obstfabrik seiner Eltern gearbeitet, lässt man natürlich drin«, erzählt Hebel und lacht. Natürlich wird der Sky-Kommentator nur einen Bruchteil aller Informationen dem Zuschauer vermitteln können, doch »ich weiß, dass ich irgendwann diese eine bestimmte Geschichte brauche«.

Gespräche mit Journalisten vor Ort

Just in diesem Moment klingelt sein Handy. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein Kollege des renommierten Online-Portals The Athletic. Es ist der Arsenal-Reporter. Hebel will es nicht bei seinen intensiven Recherchen belassen, sondern auch die Einschätzungen von den Journalisten in England hören. »Das schadet nie. Auch deshalb nicht, weil man fragen kann, ob dies oder jenes auch vor Ort wirklich ein Thema ist oder ob wir hier nur durchdrehen und es zu einem Thema machen«, erklärt der 38-Jährige. Diesen Aufwand und diese Mühe, die nicht die Regel ist, betreibt Hebel auch bei seinen Partien in der 2. Bundesliga. In seinem Terminkalender ist stets ein Telefonat mit einem Journalisten vor Ort eingeplant, um ein noch breiteres Stimmungsbild einzuholen. Zudem haben die Sky-Kommentatoren vor Spielen in Deutschlands zweiter Liga – auch diese Partien werden in den meisten Fällen aus dem Studio kommentiert – die Möglichkeit, im Vorfeld mit den jeweiligen Trainern zu sprechen.

Die meisten Vorbereitungen sind nun getan, der Anstoß in einer halben Stunde, als sich Hebel noch Zeit nimmt, über Grundsätzliches in seinem Job als Fußball-Kommentator zu sprechen.

»Du musst dem Zuschauer geben, warum etwas auf dem Feld passiert«

GEA: Joachim, worauf kommt es als Kommentator wirklich an?
Joachim Hebel: Ich muss greifbar sein. Ich sage, was ich sehe. Zu viele Einschränkungen, zum Beispiel Wörter wie ein bisschen, sind meiner Meinung nach nicht gut. Zudem versuche ich, keine Floskeln zu verwenden. Falls doch, wandel ich sie ab. Dann wird zum Beispiel aus dem ruhenden Ball ein: Diese Bälle sind heute selten ruhig. Außerdem geht es immer darum, das Bild hinter dem Bild zu erklären und Kontexte herzustellen.

Was meinen Sie genau damit?
Hebel: Du musst dem Zuschauer geben, warum etwas auf dem Feld passiert. Dass ein Angriff über die rechte Seite geht, sieht jeder. Ich beschreibe nicht, sondern versuche zu erklären. Warum geht der Angriff immer über links? Ist es gewollt? Ist es nicht gewollt? Ist es gut oder schlecht? Meine Aufgabe besteht darin, Dinge in den richtigen Kontext zu setzen. Das gilt auch für den Umgang mit Fakten.

»Die Leute glauben immer, dass du als Kommentator komplett neutral sein musst. Doch das musst du eben nicht«

Was konkret bedeutet?
Hebel: Zum Beispiel: der 24-jährige Belgier. Was heißt das denn? Das reine Alter ist für mich keine Aussage, damit kann der Zuschauer nichts anfangen. Wenn ein Profi aber 37 Jahre alt ist und immer noch richtig gut spielt, dann ist es schon eher ein Fakt. Letztens hatte ich einen Spieler, der mit seinen erst 24 Jahren schon 300 Partien absolviert hatte. Dann ist es für mich wieder cool. Sie sehen: Es geht darum, Verbindungen herzustellen.

Was sollte ein Kommentator auf keinen Fall tun, abgesehen davon parteiisch zu sein?
Hebel: Parteiisch darf man natürlich nicht sein, aber die Leute glauben immer, dass du als Kommentator komplett neutral sein musst. Doch das musst du eben nicht, weil du ja schließlich deine Meinung von dir gibst. Es ist ja ein Kommentar. Es geht darum, ein Meinungsspektrum abzubilden und die Leute trauen es dem Kommentator zu, dass er das kann. Der unter der Woche arbeitende Fan kann logischerweise nicht alles mitbekommen. Zum Beispiel: Warum spielt Spieler A nicht? Spielt er gut, spielt er nicht gut? War er vielleicht verletzt? Was verändert es, wenn er reinkommt? Das muss ich den Zuschauern geben, damit sie das Spiel in den 90 Minuten besser verstehen.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die ein Kommentator haben muss?
Hebel: Die einzige Fähigkeit, die ich wahrscheinlich habe, ist, dass ich verhältnismäßig schnell ordentlich erklären kann, was gerade passiert. Ich kann zum Beispiel keine Artikel schreiben, weil ich mir ständig denken würde: Ist der Satz so gut? Ist er richtig formuliert? (lacht)

Ein Alleswisser, der jedoch nicht den nervigen Besserwisser gibt

Das muss er auch nicht. Stattdessen muss Hebel die Zuschauer in den kommenden 90 Minuten durch die Partie führen. Zwar ist dieses Top-Duell auf dem Rasen kein fußballerischer Leckerbissen, kurzweilig ist die Begegnung, die Newcastle am Ende mit 1:0 für sich entscheiden wird, aber dennoch. Was einerseits der Spannung geschuldet ist, andererseits aber auch an Hebel und seiner Art des Kommentierens liegt. Der 38-Jährige ist ein Alleswisser über den englischen Fußball, ohne jedoch den nervigen Besserwisser zu geben. »Anthony Gordon wächst in den großen Spielen häufig über sich hinaus«, wird Hebel zu Beginn der Partie anführen. Nach zwölf Minuten ist es schließlich tatsächlich der 23 Jahre alte englische Nationalspieler, der das Tor zum 1:0-Endstand durch eine perfekte Flanke vorbereitet. Treffer!

Superlative hört man bei Hebel selten. Auch die von vielen Kommentatoren gern benutzte »Was ein Pass, was ein Schuss, was ein Tor«-Szenenbeschreibung ist nicht sein Ding. Inhaltlicher Tiefgang schon eher. Was auch daran liegt, dass ihm selbst live auf Sendung keine Recherche zu lästig ist. Eines fällt beim Besuch der Kommentatorenbox am meisten auf: Nebenbei passiert immer etwas. Hebel hat zig verschiedene Internetseiten auf seinem PC und Tablet im Hintergrund geöffnet, wo er parallel zum Spiel immer wieder neue Infos abgreift. Ganz oben im Kurs steht transfermarkt.de und das Datenanalyse-Tool Opta. Da den Überblick zu haben und sich nicht ablenken zu lassen, ist eigentlich die größte Kunst.

»Es ist kein Job, mit dem du nur dein Geld verdienst. Das ist Leidenschaft«

Erst recht, wenn man bedenkt, dass er dazu noch die Leute aus der Regie auf dem Ohr hat, die sich immer wieder bei ihm melden. Zum Beispiel nach der Partie. Das Spiel ist längst abgepfiffen, der Arbeitstag von Hebel aber noch nicht beendet. Die Live-Übertragung ist gerade in der Werbepause, als der Kommentator von der Regie informiert wird, welche Szenen in der Zusammenfassung zu sehen sein werden. Der 38-Jährige macht sich schnell Notizen, geht nach intensiven 90 Minuten nochmals kurz in sich und liefert dann noch einmal punktgenau ab. Danach ist Schluss für diesen Tag.

»Es ist mein Traum. Ich wollte das immer machen«, betont der sichtlich geschaffte Hebel, während er – so macht es den Anschein – in seinen Gedanken bereits schon wieder in der Vorbereitung auf die nächste Partie ist. »Ich bin den ganzen Tag Fußball-Kommentator.« Viel Zeit zum Abschalten bleibt da nicht. »Es ist aber eine große Ehre, das machen zu dürfen. Es ist kein Job, mit dem du nur dein Geld verdienst. Das ist Leidenschaft.« Und vor allem der große Traum vieler Fußball-Fans vor den TV-Geräten. (GEA)