FRANKFURT. Vorweg: Die Reise nach Barcelona oder Lyon hatte Christian Wück ohnehin nicht geplant, obwohl beide Städte im Frühjahr ja wirklich lohnende Reiseziele wären. Doch der Bundestrainer bleibt daheim, wenn die Flaggschiffe des deutschen Frauenfußballs wohl Abschied vor der internationalen Bühne nehmen. Sowohl der FC Bayern bei Olympique Lyon (Mittwoch, 18.45 Uhr) als auch der VfL Wolfsburg beim FC Barcelona (Donnerstag, 18.45 Uhr/beide Dazn) sind krasse Außenseiter in den Rückspielen der Women’s Champions League. »Man hat schon gesehen, dass die Vereine recht wenige Mittel gehabt haben. Gegen die Entwicklung, die wir da sehen, müssen wir natürlich ankämpfen«, erklärte Wück am Dienstag in einer digitalen Medienrunde bei der Nominierung seines Kaders für die Nations-League-Gruppenspiele gegen Schottland in Dundee (4. April) und Wolfsburg (8. April).
»Das geht natürlich nur zusammen. Wir als Verband profitieren von Mannschaften, die international auf gutem Niveau spielen können. Und die Vereine profitieren von einer dominanten Nationalmannschaft.« Diese wechselseitige Befruchtung ist gerade zerbrochen. In Sachen Handlungsschnelligkeit, Durchsetzungsvermögen, aber auch Spielverständnis und Zweikampfgeschick ist die Konkurrenz aus Spanien, England und Frankreich weiter.
»In meiner idealen Traumwelt wären wir schon weiter«
Der Bundestrainer hatte zuletzt ein Weiterkommen von Meister und Pokalsieger als »unheimlich wichtig für den Fußball-Standort Deutschland« bezeichnet. »Das tut uns allen gut, das tut den Spielerinnen gut, das tut dem Verein gut.« Ein frommer Wunsch. Der Trend geht in die andere Richtung. Nachdem im Vorjahr kein deutscher Klub überhaupt die K.o.-Runde erreichte, ist für die besten Frauen-Bundesligisten vermutlich im Viertelfinale Schluss. Die Auftritte seien »ernüchternd« gewesen, räumte Wück ein, aber zur Schwarzmalerei für die Nationalelf bei der EM in der Schweiz (2. bis 27. Juli) bestände kein Grund. Immerhin hätte das DFB-Team doch bei seinem Einstand in Wembley gegen England (4:3) bewiesen, was mit einem aktiven und mutigen Spielstil zu erreichen ist. »Vor anderen Nationen müssen wir uns nicht verstecken.«
Doch offenkundig, dass keine 100 Tage vor EM-Start die Sorgenfalten bei Wück größer geworden sind. Dass die deutschen Fußballerinnen im letzten Länderspiel gegen Österreich (4:1) so große Schwierigkeiten offenbarten, habe ihm »von der ersten bis zur letzten Minute nicht wirklich gefallen«, gab der 51-Jährige zu. »Wir sind von einigen nicht zu 100 Prozent überzeugt.« Die stellvertretende DFB-Kapitänin Janina Minge (Wolfsburg) bekannte, sie habe sich vergangenen Woche »wie ein Hütchen« gefühlt, so oft sei sie von den Barca-Spielerinnen überlaufen worden. Auch DFB-Spielführerin Giulia Gwinn (Bayern) hatte erstaunlich oft das Nachsehen gegen die aus dem Nationalteam vor der WM 2023 zurückgetretene Dzsenifer Marozsan. Nach dem 0:2 auf dem Bayern-Campus braucht es ein kleines Wunder, um beim Rekordgewinner Lyon hoch genug zu reüssieren. Noch schlechter stehen die Chancen für Wolfsburg nach einem 1:4 gegen den Titelverteidiger Barcelona.
»Wir sind von einigen nicht zu 100 Prozent überzeugt«
Und auch die Nationalmannschaft gleicht gerade einer Baustelle. Wück: »In meiner idealen Traumwelt wären wir schon weiter. Ein Gerüst finden, braucht längere Zeit. Das Einspielen muss später kommen.« Noch einmal wird sein Aufgebot kräftig durchgemischt, es sei aber »nicht zusammengewürfelt, sondern fundiert« zusammengestellt.
Erstmals berufen wurde Franziska Kett, »die körperlich und athletisch ein gutes Niveau« verkörpere. Die 20-Jährige vom FC Bayern hatte sich vor Wücks Augen im Supercup im vergangenen Sommer in Dresden verletzt. Auch die vielseitig einsetzbaren Paulina Krumbiegel (Juventus Turin) und Cora Zicai (SC Freiburg), die demnächst ihren Wechsel zum VfL Wolfsburg verkünden dürfte, kehren ins Aufgebot zurück.
Geklärt ist auch, das Ann-Katrin Berger (NJ/NY Gotham FC) als Nummer eins für die EM eingeplant ist. »Damit machen wir den nächsten grünen Haken in den Diskussionen«, sagte der Bundestrainer, der zuletzt Stina Johannes (Eintracht Frankfurt), Ena Mahmutovic (Bayern) und die schwer verletzte Sophia Winkler (SGS Essen) getestet hatte. Das Vertrauen in die 34-jährige Berger ist logisch, um wenigstens zwischen den Pfosten einen Ruhepol zu haben: »Sie strahlt die Sicherheit aus, wo eine junge Torhüterin vielleicht noch länger Zeit braucht.« Außerdem spielt die zu Deutschlands »Fußballerin des Jahres« gekürte Olympia-Heldin in jener US-Profiliga, deren beste Klubs es locker mit Barcelona und Lyon aufnehmen könnten. (GEA)