Pro: Rückenwind fürs Achtelfinale
Ja, die Abwehr war gegen die Eidgenossen kein Bollwerk. Und ja, ein Treffer bei 18 Torschüssen passt ins Bild der vor dem Turnier viel zitierten deutschen Abschlussschwäche. Etliche Spieler haben am Sonntagabend im Bewusstsein des bereits zuvor erlangten Einzugs in die K.o.-Runde ihr Können nur noch ganz dezent aufblitzen lassen. Selbst die »Pass-Maschine« Toni Kroos war da nicht außen vor, kamen doch tatsächlich sage und schreibe sieben seiner 107 Zuspiele nicht beim Mitspieler an.
Ich glaube: Das war gar kein Stimmungskiller. Viel eher war das doch das richtige Spiel genau zum richtigen Zeitpunkt. Zum einen, weil es in der Vorrunde eines solchen Turniers schon traditionell immer eine Begegnung gibt, in der es nicht so richtig läuft. Und zum anderen, weil am Ende der 94 gespielten Minuten von Frankfurt ein Glücksmoment geblieben ist: Gruppensieg. In der Nachspielzeit. Klargemacht per Kopf. Von Niclas Füllkrug. Mit dessen elften Jokertor bei seiner 13. Einwechslung im DFB-Trikot. Alles also, was dazu gehört.
Und genau das wird einen Push geben. Einerseits, weil man spätestens jetzt sensibilisiert ist für die durchaus vorhandenen eigenen Schwächen. Andererseits, weil man nun eben weiß, dass man auch mit Rückständen umgehen und durch geschicktes Coaching erfolgreich reagieren kann. Beides ist extrem wichtig für den weiteren Turnierverlauf und wird der deutschen Mannschaft in der K.o.-Runde zu gegebener Zeit helfen. Dieser Impuls wird also dafür sorgen, dass Jules Jungs mit viel Rückenwind ins Achtelfinale gehen werden.
Contra: Deutsche DNA decodiert
Es war der erste Dämpfer im EM-Turnier. Nach zwei mitreißenden Auftritten zuvor blieb der deutsche Zauberfußball diesmal in der Kabine. Ein 1:1 am Sonntag ist kein Beinbruch, wenngleich die Erfolgs-Bilanz nun eine Delle hat. Das glückliche Remis nach Rückstand weckt nun erste Zweifel an der Titel-Fähigkeit der Nagelsmänner. Das Hoch ist gemischten Gefühlen gewichen.
Die zuvor gefeierte Offensive stieß gegen sehr disziplinierte und hoch stehende Schweizer an ihre Grenzen. Auch schon die Schotten und die Ungarn zuvor hatten mit geballter Defensive Musiala & Co. einbremsen wollen, besaßen aber nicht das Kaliber der Eidgenossen. Die anderen Nationen werden genau hingeschaut haben, wie die deutsche Fußball-DNA entschlüsselt wurde. Jetzt wissen alle, wie man den dreifachen Europameister stoppen kann: Räume eng machen, die Laufwege zustellen, aber auch offensiv seine Chance suchen.
Plötzlich wurde die Angriffs-Power gestoppt, bei den wenigsten Möglichkeiten war Yann Sommer im Schweizer Tor ernsthaft gefordert. Schnelle und technisch starke Stürmer zu haben, ist zweifellos ein Trumpf, reicht aber nicht, wenn gegen kompakte Gegner die Ideen im Spielaufbau fehlen und es Abschluss-Schwächen gibt. Ein Joker Füllkrug wird nicht immer treffen. Der Motor ist ins Stottern geraten, fährt untertourig statt mit Vollgas. Spätestens, wenn im nächsten Spiel kein frühes Tor gelingen sollte, wird sich zeigen, ob das Team so viel Selbstvertrauen besitzt, wie immer behauptet wird.